Ein süßer Traum (German Edition)
übertönen. Auf Blättern und Frühlingsblumen funkelte ein leichter Regen.
Die Gesellschaft am Tisch sah aus wie der Chor aus einem Musical. Alle trugen sie quergestreifte blau-weiße Kittel über engen schwarzen Hosenbeinen. Frances trug schwarz-weiße Streifen, denn sie hatte das Gefühl, sich wenigstens ein wenig unterscheiden zu müssen. Die Jungen trugen ebenfalls blau-weiße Streifen über Jeans. Ihr Haar reichte bis weit über die Ohren, das musste so sein, als Ausdruck ihrer Unabhängigkeit, und alle Mädchen trugen Evansky-Frisuren. Eine Evansky-Frisur, das war der Herzenswunsch aller Mädchen, die
up to date
waren, und auf Biegen oder eher Brechen hatte jede eine bekommen. Diese Frisur lag zwischen einem Bob aus den zwanziger Jahren und einem Bubikopf, mit Pony bis zu den Augenbrauen. Glatt, das verstand sich von selbst. Locken waren
out
. Sogar Roses Haar, dieser krause schwarze Wust, war zur Evansky-Frisur getrimmt worden. Süße kleine Mädchen, zickige kleine Dinger mit adretten Köpfchen waren sie, und die Jungen sahen aus wie zottige Ponys. Und alle trugen blau-weiße Streifen, die Matrosenhemden nachempfunden waren und zu den blau-weißen Bechern passten, die sie beim Frühstück benutzten. Der
Geist
spricht, und die
Zeit
gehorcht. Das waren sie, die Mädchen und Jungen der sexuellen Revolution, aber sie wussten noch nicht, dass sie dafür einmal berühmt sein würden.
Nur einer Person blieb der Evansky-Zwang erspart, der genauso mächtig war wie für andere der von Vidal Sassoon. Mrs. Evansky, eine entschiedene Dame, hatte sich geweigert, Sophie die Haare zu schneiden. Sie hatte sich hinter das Mädchen gestellt, die seidigen schwarzen Massen angehoben und durch ihre Finger gleiten lassen, und dann hatte sie erklärt: »Es tut mir leid, das kann ich nicht.« Und als Sophie protestierte: »Außerdem haben Sie ein langes Gesicht. Es würde Ihnen nicht stehen.« Sophie hatte dagesessen und sich abgewiesen und ausgeschlossen gefühlt, und dann hatte Mrs. Evansky gesagt: »Gehen Sie jetzt und denken Sie darüber nach, und wenn Sie darauf bestehen … aber es würde mich umbringen, das hier abzuschneiden!«
Also saß Sophie ganz allein unter den Mädchen mit unversehrten schwarzen Locken da und hatte das Gefühl, eine Art Monstrum zu sein.
Die Zeit war so schnelllebig, und die vier Monate waren im Flug vergangen. Was waren vier Monate? Nichts, und doch hatte sich alles verändert.
Zunächst Sylvia. Auch sie war jetzt uniform. Ihre Frisur, die sie von Julia erbettelt hatte, stand ihr nicht wirklich, aber alle wussten, dass es wichtig für sie war, normal und wie die anderen zu sein. Sie aß, wenn auch nicht gut, und gehorchte Julia in jedem Punkt. Die alte Frau und das junge Mädchen saßen stundenlang zusammen in Julias Wohnzimmer, während Julia Sylvia kleine Freuden bereitete, sie mit Pralinen fütterte, die ihr Bewunderer Wilhelm Stein ihr geschenkt hatte, und ihr Geschichten aus dem Vorkriegsdeutschland erzählte – aus der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg. Einmal fragte Sylvia vorsichtig, denn sie wäre lieber gestorben, als Julia zu verletzen: »Ist denn damals nie etwas Schlimmes passiert?« Julia war erstaunt, und dann lachte sie. »Auch wenn schlimme Dinge passiert sind – ich übergehe sie einfach.« Tatsächlich konnte sie sich aber nicht an schlimme Dinge erinnern. Ihre Mädchenzeit in diesem Haus voller Musik und freundlicher Menschen kam ihr vor wie ein Paradies. Gab es so etwas noch irgendwo?
Andrew hatte seiner Mutter und seiner Großmutter versprochen, im Herbst nach Cambridge zu gehen, aber unterdessen verließ er kaum noch das Haus. Er hing herum, las und rauchte in seinem Zimmer. Sylvia, die ihn besuchte, klopfte förmlich an, räumte sein Zimmer auf und schimpfte mit ihm. »Wenn ich das schaffe, schaffst du es auch.« Was sich auf das Pot-Rauchen bezog. Für sie, die so schrecklich angeschlagen gewesen war und sich unter solchen Schwierigkeiten wiedergefunden hatte, war alles eine Bedrohung – Alkohol, Tabak, Pot, laute Stimmen. Und vor streitenden Menschen floh sie noch immer unter ihr Bettzeug und steckte sich die Finger in die Ohren. Inzwischen ging sie wieder zur Schule und bekam sogar gute Noten. Julia saß jeden Abend mit ihr über den Hausaufgaben.
Geoffrey war gescheit und würde eine gute Prüfung ablegen, und dann wollte er auf die London School of Economics gehen, um – natürlich – Politik und Wirtschaftswissenschaften zu studieren. Mit Philosophie, so
Weitere Kostenlose Bücher