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Ein süßer Traum (German Edition)

Ein süßer Traum (German Edition)

Titel: Ein süßer Traum (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Doris Lessing
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sagte er, werde er sich nicht aufhalten. Daniel, Geoffreys Schatten, wollte auch auf die LSE gehen und dieselben Fächer studieren.
    Jill hatte eine Abtreibung gehabt und saß, anscheinend unberührt von dieser Erfahrung, an ihrem üblichen Platz. Das Eindrucksvolle war, dass die »Kinder« allein mit alldem fertig geworden waren, ohne die Erwachsenen. Weder Frances noch Julia hatten davon erfahren, ebenso wenig wie Andrew, der offenbar als zu erwachsen galt und als möglicher Feind. Colin war schließlich zu den Eltern des Mädchens gegangen – sie hatte Angst davor – und hatte ihnen gesagt, dass sie schwanger sei. Sie hielten Colin für den Vater und wollten ihm nicht glauben, als er das abstritt. Wer war es? Niemand wusste es, obwohl man Geoffrey im Verdacht hatte: Wann immer ein Herz gebrochen oder Vertrauen missbraucht wurde, war er, der Gutaussehende, der Sündenbock.
    Colin bekam schließlich von Jills Eltern das Geld für die Abtreibung, und der Hausarzt gab ihm eine entsprechende Telefonnummer. Erst hinterher, als Jill sicher wieder in der Souterrainwohnung war, erfuhren Julia, Frances und Andrew davon. Inzwischen waren die Eltern der Meinung, Jill könne nicht zum St. Joseph’s zurück, wenn dort solche Sachen passierten.
    Sophie und Colin hatten sich getrennt. Sophie, die nie in ihrem Leben etwas halbherzig tat, war für Colin zu viel gewesen: Sie liebte ihn zu Tode, oder zumindest so, dass er regelrecht krank wurde. »Geh weg«, hatte er sie schließlich angeschrien, »lass mich in Ruhe.« Und kam tagelang nicht aus seinem Zimmer. Dann ging er zu Sophie nach Hause und sagte, es tue ihm leid, das sei alles seine Schuld, er sei eben »ein bisschen verkorkst«, und bitte komm zurück in unser Haus, bitte, wir vermissen dich alle, und Frances sagt immer: Wo ist denn Sophie? Und als Sophie zurückkam und sich vielmals entschuldigte, als wäre alles ihre Schuld gewesen, umarmte Frances sie und sagte: »Sophie, du und Colin, das ist eine Sache, und sie hat nichts damit zu tun, dass du jederzeit willkommen bist.«
    An den Wochenenden kam Sophie mit der Truppe vom St. Joseph’s nach London, verbrachte den Freitagabend bei ihnen und fuhr am Samstag spät nach Hause zu ihrer Mutter, der es angeblich besser ging. »Auch wenn sie nicht so aussieht. Sie hängt nur herum und sieht
schrecklich
aus.« Depression, ganz zu schweigen von klinischer Depression, war noch nicht in den allgemeinen Wortschatz und in das Bewusstsein gedrungen. Die Leute sagten noch: »Ach, Gott, ich bin so deprimiert«, und meinten damit, dass sie schlechte Laune hatten. Sophie war eine gute Tochter, soweit sie es ertragen konnte, und deshalb ließ sie sich erst nachts zu Hause blicken, tagsüber verschwand sie wieder. So saß sie freitag- und sonntagabends auf ihrem Platz an dem großen Tisch.
    Etwas Wunderbares war ihr passiert. Sie ging oft den Hügel hinunter nach Primrose Hill und dann durch den Regent’s Park, zu ihren Tanz- und Gesangsstunden. Sie liebte es, auf einer grasbewachsenen Lichtung voller Blumenbeete die Statue einer jungen Frau mit einer kleinen Ziege zu besuchen, die »Die Beschützerin der Wehrlosen« heißt. Dieses Mädchen aus Stein zog Sophie an. Mal legte sie ein Blatt auf den Sockel, dann eine Blume, ein andermal ein kleines Sträußchen. Einmal brachte sie ein paar Kekse mit, legte sie der Statue zu Füßen, trat zurück und sah zu, wie die Spatzen und Amseln herbeiflogen, um die Krümel aufzupicken. Das nächste Mal legte sie der kleinen Ziege einen Kranz um den Hals. Dann lag eines Tages ein Büchlein auf dem Sockel, das
Die Sprache der Blumen
hieß, und ein Strauß aus Flieder und Rosen war mit einem Band daran befestigt. Sie konnte in der Nähe niemanden sehen, der in Frage kam, nur ein paar Leute, die im Park spazieren gingen. Es machte sie nervös, dass sie beobachtet worden war. Beim Essen erzählte sie die Geschichte, lachte wegen ihrer Liebe zu dem steinernen Mädchen über sich selbst und zog
Die Sprache der Blumen
hervor, damit alle das Buch betrachten konnten. Darin hieß es, dass Flieder erste Liebesgefühle versinnbildlichte und eine rote Rose Liebe.
    »Du wirst ihm doch nicht antworten?«, fragte Rose wütend.
    »Liebste Rose«, sagte Colin, »natürlich wird sie antworten.«
    Und alle studierten das Buch genau, um eine passende Botschaft zu finden. Sophie vertrat folgenden Standpunkt: »Ja, ich bin interessiert, aber das ist kein Grund, voreilige Schlüsse zu ziehen.« Nichts in dem Buch schien

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