Ein süßer Traum (German Edition)
lackierte Nägel. Sie trugen Minikleidchen von Biba, natürlich gestohlen. Keine Aufmachung wäre geeigneter gewesen, jede Behörde gegen sie einzunehmen.
Frances sagte: »Wenn euch wirklich etwas daran liegt, mit einem Vortrag davonzukommen, dann wascht euch besser das Gesicht.« Sie fragte sich, ob die Mädchen unbedingt alles so kompliziert wie möglich machen wollten, ob sie vielleicht sogar den Ehrgeiz hegten, in die Jugendstrafanstalt geschickt zu werden. Das würde Frances natürlich recht geschehen: Man kann nicht
in loco parentis
sein, ohne irgendwann die Strafe zu bekommen, die in Wirklichkeit den straffälligen Eltern gebührt.
Rose sagte sofort: »Das sehe ich gar nicht ein.«
Frances wartete neugierig ab, was Jill antworten würde. Dieses vormals ruhige, liebe, anpassungsfähige Mädchen, das manchmal den ganzen Abend dasaß und nichts sagte, sondern nur lächelte, war hinter ihrer Bemalung und ihrer Wut kaum zu erkennen.
Prompt folgte sie Roses Beispiel: »Und ich sehe das auch nicht ein.«
Sie fuhren mit der U-Bahn; Frances kaufte Fahrkarten für alle und nahm zur Kenntnis, dass sie sarkastisch lächelten. Bald waren sie in dem Büro, wo das Schicksal diejenigen Jugendlichen, die den Fahrpreis nicht bezahlten, in Gestalt von Mrs. Kent ereilte. Sie trug eine marineblaue Uniform, dazu angetan, die Majestät des Beamtentums deutlich zu machen, aber ihr Gesicht war freundlich, obwohl sie einen strengen Ausdruck aufgesetzt hatte, um sich Respekt zu verschaffen.
»Bitte setzen Sie sich«, sagte sie. Während Frances sich auf die eine Seite setzte, blieben die Mädchen wie widerspenstige Pferde lange genug stehen, um ihre Haltung zu verdeutlichen. Als sie schließlich neben ihr Platz nahmen, ließen sie sich auf ihre Stühle fallen, und man konnte glauben, jemand hätte sie gestoßen.
»Es ist ganz einfach«, sagte Mrs. Kent, aber ihr Seufzer, den sie offenbar nicht bewusst ausstieß, ließ etwas anderes vermuten. »Ihr seid beide zweimal verwarnt worden. Ihr habt gewusst, dass das dritte Mal das letzte Mal ist. Ich kann euch zum Jugendrichter schicken, und dann entscheidet er, ob ihr in Verwahrung genommen werdet oder nicht. Aber wenn ihr mir garantiert, dass ihr nicht mehr schwarzfahrt, kommt ihr mit einer Geldstrafe davon, aber dann müssen eure Eltern oder ein Elternteil oder ein Vormund die Verantwortung für euch übernehmen.« Sie sagte mehrmals das Gleiche, nur in anderen Worten, und währenddessen kritzelte ihr Kugelschreiber zackige Muster auf einen Notizblock – Zeichen ihrer Langeweile und Verzweiflung. Als sie fertig war, lächelte sie Frances zu.
»Sind Sie die Mutter von einem der Mädchen?«
»Nein. Bin ich nicht.«
»Ein Vormund? In irgendeiner gesetzlichen Funktion?«
»Nein, aber sie wohnen bei mir – in unserem Haus, und sie gehen demnächst von dort aus zur Schule.« So viel konnte sie zumindest von Rose behaupten; was Jill betraf, mochte das ebenso gut gelogen sein. Mrs. Kent blickte die Mädchen lange an, die vor ihr saßen und schmollten. Die eine hockte mit gespreizten Beinen da, die andere hatte einen Fuß so über das Knie gelegt, dass man die schwarzen Strumpfhosen bis in den Schritt sah. Frances fiel auf, dass Jill zitterte: Wie passte das zu dem ansonsten so gelassen wirkenden Mädchen?
»Kann ich kurz allein mit Ihnen sprechen?«, fragte Mrs. Kent Frances. Sie stand auf und sagte zu den Mädchen: »Wir sind gleich wieder da.« Sie bat Frances zur Tür und führte sie in ein kleines, privates Zimmer, das offenbar ihr Rückzugsort zwischen den anstrengenden Gesprächen war.
Sie ging zum Fenster, und Frances stellte sich neben sie. Beide schauten sie auf einen kleinen Garten hinunter, in dem ein Liebespaar an einer Eistüte schleckte. Mrs. Kent sagte: »Ihr Artikel über Jugendkriminalität hat mir gefallen. Ich habe ihn mir ausgeschnitten.«
»Danke.«
»Es geht über meinen Verstand. Man kann ja nachvollziehen, wenn arme Kinder das tun, und in Härtefällen gibt es eine Politik der Milde, aber wenn sie dann herkommen, die Jungen und Mädchen, voll in Schale, begreife ich es nicht. Einer sagte neulich – er ging auf eine gute Schule –, es sei eine Frage des Prinzips, den Fahrpreis nicht zu bezahlen. Als ich ihn fragte, was für ein Prinzip, sagte er, er sei Marxist. Er will den Kapitalismus zerstören, hat er gesagt.«
»Das kommt mir bekannt vor.«
»Was für eine Garantie können Sie mir geben, dass die Mädchen in einer Woche nicht wieder hier
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