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Ein süßer Traum (German Edition)

Ein süßer Traum (German Edition)

Titel: Ein süßer Traum (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Doris Lessing
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parentis

    »
Loco
ist ein gutes Wort in diesem Zusammenhang.« Er ging hinaus.
    Frances erfuhr, dass sie keineswegs als Einzige
in loco parentis
war, die die »Kinder« als eine Art wohltätige Laune der Natur betrachteten, von der sie profitierten. Nach den Sommerferien hatte sie einen Brief aus Spanien bekommen, von einer Engländerin, die in Sevilla lebte, und darin stand, sie habe Colin, Frances’ reizenden Sohn, so gerne bei sich gehabt. (Colin, reizend? In diesem Haus jedenfalls nicht.) »Eine sehr nette Clique war das, diesen Sommer. Es geht nicht immer alles so glatt. Manchmal gibt es so viele Probleme! Ich finde es wirklich außergewöhnlich, wie die Jungen einfach zu den Eltern anderer Leute gehen. Meine Tochter benutzt ständig Ausreden, damit sie nicht nach Hause kommen muss. Sie hat ein Ersatz-Zuhause in Hampshire bei ihrem Ex-Freund. Wir müssen wohl zulassen, dass das jetzt so ist.«
    Dann ein Brief aus North Carolina. »Hallo, Frances Lennox! Ich habe das Gefühl, Sie sehr gut zu kennen. Ihr Geoffrey Bone war wochenlang hier, zusammen mit anderen aus allen möglichen Teilen der Welt, und alle haben sich am Kampf um die Bürgerrechte beteiligt. Sie klopfen an meine Tür, die heimatlosen Kinder dieser Welt – nein, nein, Geoffrey meine ich nicht, ich habe noch nie einen jungen Mann gesehen, der so gelassen war. Und ich sammle sie auf, genau wie Sie und genau wie meine Schwester Fran in Kalifornien. Nächsten Sommer ist mein Sohn Pete in England, und er schaut sicher vorbei.« Aus Schottland, aus Irland. Aus Frankreich … Briefe, die sie in eine Mappe mit ähnlichen legte, die in den letzten Jahren gekommen waren, in der Zeit, in der sie Andrew kaum gesehen hatte.
    Den Hausmüttern, den Erdmüttern, von denen es in den sechziger Jahren immer mehr gab, wurde auf diese Weise allmählich klar, dass da draußen noch andere waren, und sie verstanden, dass sie zu einem Phänomen gehörten: Der
Geist
war wieder am Werk. Sie hatten schon ein Netzwerk gebildet, noch ehe dieser Ausdruck zum Sprachgebrauch gehörte. Sie und all diese Frauen waren das Netzwerk der Hegenden. Der
neurotischen
Hegenden. Wie die »Kinder« ihr erklärt hatten, arbeitete Frances ein Schuldgefühl ab, das in ihrer Kindheit verwurzelt war. (Frances hatte gesagt, das würde sie keineswegs überraschen.) Sylvia vertrat allerdings eine andere »Linie«. (»Linie« als Teil des Parteijargons.) Sylvia hatte von ihren groovy mystischen Freunden erfahren, dass Frances an ihrem Karma arbeite, das in einem früheren Leben Schaden genommen habe.
     
    Als Colin wieder einmal zu Besuch nach Hause kam, um seine Mutter anzuschreien, brachte er Franklin Tichafa aus Simlia mit, einer britischen Kolonie, die, wie Johnny sagte, bald den Weg Kenias gehen würde. Das stand auch in allen Zeitungen. Franklin war ein rundlicher, lächelnder schwarzer Junge. Colin erklärte seiner Mutter, man könne das Wort
boy
, Junge, nicht benutzen, weil es schlechte Konnotationen habe, aber Frances sagte: »Er ist schließlich noch kein junger Mann. Wenn man einen Sechzehnjährigen nicht
boy
nennen kann, wen denn sonst?«
    »Das macht sie mit Absicht«, sagte Andrew. »Das macht sie, um uns zu ärgern.«
    Gewissermaßen stimmte das. Johnny hatte sich vor langer Zeit beklagt, dass Frances sich manchmal politisch dumm stelle, um ihn vor seinen Genossen in Verlegenheit zu bringen, und hin und wieder hatte sie das wirklich mit Absicht getan. Das tat sie jetzt auch.
    Alle mochten Franklin, der nach Franklin Roosevelt benannt war und am St. Joseph’s Literatur »hörte«, um seinen Eltern eine Freude zu machen. Eigentlich hatte er vor, an der Universität Wirtschafts- und Politikwissenschaften zu studieren.
    »Das studiert ihr doch alle«, sagte Frances. »Politik und Wirtschaftswissenschaften. Das Erstaunliche ist, dass jeder das will, wo es doch keiner richtig versteht, vor allem die Wirtschaftswissenschaftler nicht.«
    Diese Bemerkung war ihrer Zeit so weit voraus, dass man sie durchgehen ließ, dass man sie wahrscheinlich gar nicht hörte.
    An diesem Abend, als Franklin zum ersten Mal kam, platzte Colin nicht in Frances’ Zimmer, um die übliche Anschuldigungssitzung zu halten: Er war nicht in der Maystock Clinic gewesen. Franklin lag auf dem Fußboden seines Zimmers in einem Schlafsack. Frances konnte sie über ihrem Kopf hören, wie sie redeten, lachten … Ihr im Übermaß beanspruchtes Herz schien aufzuatmen, und sie spürte, dass Colin in Wirklichkeit nur

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