Ein süßer Traum (German Edition)
einen guten Freund brauchte, jemanden, der viel lachte: Sie alberten herum und veranstalteten wie alle jungen Männer (oder Jungen) eine Menge Lärm und Gerumpel.
Franklin kam jetzt öfter vorbei, und Colin sagte, er habe genug von der Maystock Clinic. Er hatte Dr. David tatsächlich beim Schlafen erwischt, während er in seinem Patientensessel herumrutschte und hoffte, dass der große Mann endlich etwas sagen würde.
»Wie viel verdient er?«, fragte er.
Frances sagte es ihm.
»Netter Job«, sagte Colin. Fraß er jetzt wieder alles in sich hinein? War er all seinen Zorn an diesen Abenden losgeworden, an denen er ihr Vorwürfe gemacht hatte? Sie hatte keine Ahnung. Aber er war immer noch schlecht in der Schule und wollte abgehen.
Es war Franklin, der ihm beim Abendessen sagte, dass das albern sei. »Das wäre ein Schritt in die falsche Richtung. Wenn du älter bist, wird es dir leidtun.«
Letzteres war ein direktes Zitat. Überall, wo junge Leute zusammen sind, kann man Redensarten, Ermahnungen und Ratschläge hören, die sie aus dem Mund ihrer Eltern kannten. Sie sagen sie zum Spaß, zum Spott oder im Ernst. »Wenn du älter bist, wird es dir leidtun«, hatte Franklins Großmutter im Licht des Feuers, das mitten in der Hütte brannte, gesagt. In ihrem Dorf drängte sich bisweilen eine Ziege durch das offene Türloch, weil sie etwas zu finden hoffte, das sie stehlen konnte. Die schwarze Frau, der Franklin erzählt hatte, er wolle sein Stipendium für das St. Joseph’s nicht annehmen – er war in heller Panik –, hatte sorgenvoll gesagt: »Wenn du älter bist, wird es dir leidtun.«
»Ich bin älter«, sagte Colin.
Es war wieder November und dunkel vom Nieselregen. Alle waren zum Wochenende da. Links von Frances saß Sylvia, und die anderen gaben sich Mühe, um nicht zu bemerken, dass sie mit ihrem Essen kämpfte. Sie hatte den magischen Kreis der Leute verlassen, die nie etwas ohne bedeutungsvolle Blicke und anders als in höchstwichtigem Ton sagen konnten. »Das sind keine besonders netten Leute«, hatte Sylvia in Julias Art gesagt. Jake war aufgetaucht, um Frances zu besuchen, und er war sichtlich nervös gewesen. »Wir haben ein Problem, Frances. Ein kulturelles. Ich glaube, wir haben in den Staaten weniger Hemmungen als ihr.«
»Ich fürchte, ich kann dir gerade nicht folgen«, sagte Frances. »Sylvia hat uns nichts darüber erzählt, warum sie …«
»Es gibt auch nichts zu erzählen, das musst du mir glauben.«
Sylvia vertraute Andrew an, sie habe sich nicht über die wilden satanischen Riten »aufgeregt«, welche die anderen sich ausgemalt und über die sie sogar Witze gemacht hatten, während sie ihnen sagte, sie seien albern; auch nicht über Séancen, die schiefgegangen waren – oder gut gegangen, je nachdem, wie man es betrachtete – und in denen es zu geräuschvollen Erscheinungen kam, die etwas Wichtiges mitzuteilen hatten, zum Beispiel, dass Sylvia immer Blau und ein Türkisamulett tragen solle. Nein, sie hatte sich aufgeregt, weil Jake sie geküsst und gesagt hatte, sie sei zu alt, um noch Jungfrau zu sein. Sie hatte ihm eine feste Ohrfeige gegeben und ihn einen schmutzigen alten Mann genannt. Für Andrew war es klar, dass Jake ihr geheimnisvolle sexuelle Vergnügungen angeboten hatte, aber Sylvia sagte: »Er ist alt genug, um mein Großvater zu sein.« Das war er auch. Eben.
Andrew war zum Wochenende gekommen, weil Colin ihn angerufen und gesagt hatte, Sylvia habe einen Rückschlag erlitten. Ausgerechnet Colin: Wieso hatte er dann so heftig getobt, weil Sylvia hier war? »Du musst kommen, Andrew. Du weißt immer, was zu tun ist.« Und Julia? Wusste sie nicht, was zu tun war? Offenbar nicht mehr. Als Julia hörte, dass Sylvia wieder in ihrem Zimmer und nicht mehr allabendlich unterwegs war, hatte sie in dem schweren, kummervollen Ton, in dem sie in letzter Zeit ständig sprach, gesagt: »Ja, Sylvia, was will man schon erwarten, wenn man sich mit solchen Leuten abgibt.«
»Aber es ist gar nichts passiert, Julia«, hatte Sylvia geflüstert und versucht, sie zu umarmen. Julias Arme, die sich vor Kurzem so mühelos um Sylvia geschlossen hatten, hielten sie fest, aber nicht mehr so wie zuvor, und Sylvia weinte in ihrem Zimmer wegen der steifen alten Arme, die wie ein Vorwurf waren.
Sylvia saß mit der Gabel in der Hand am Tisch und wendete ein Stück Rahmkartoffel hin und her, ein Gericht, das Frances eigens für sie gekocht hatte.
Andrew saß neben Sylvia, Colin neben Andrew
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