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Ein süßer Traum (German Edition)

Ein süßer Traum (German Edition)

Titel: Ein süßer Traum (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Doris Lessing
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überschwänglichen Freude mischte: Die Kleider waren befreit worden.
    Sie machte ihm Tee und bot ihm Toast an – aber er wollte sich den Appetit für das Weihnachts-Festmahl aufsparen. Als er immer noch lächelnd am Tischende ihr gegenübersaß, beschloss sie, dass sie sein Glück trüben musste, Weihnachten hin oder her. »Franklin«, sagte sie, »du sollst wissen, dass wir nicht alle Diebe sind in diesem Land.«
    Augenblicklich machte er ein ernstes Gesicht, um es dann zweifelnd in Falten zu legen, dann fing er an, sich unruhig umzusehen, wie nach potenziellen Anklägern.
    »Sag nichts«, sagte sie. »Das ist nicht nötig. Ich mache dir keinen Vorwurf – verstehst du das? Du sollst nur wissen, dass wir nicht alle das stehlen, was wir haben wollen.«
    »Ich bringe die Kleider zurück«, sagte er, und alle Freude war dahin.
    »Nein, natürlich nicht. Willst du ins Gefängnis kommen? Hör einfach zu, was ich sage, weiter nichts. Glaub nicht, dass alle so sind wie …« Weil sie die Schuldigen nicht nennen wollte, griff sie auf den Witz zurück: »Nicht jeder
befreit
die schönen Sachen.«
    Er saß mit gesenktem Blick da und biss sich auf die Lippen. Dachte an die vergnügliche Expedition zu dritt, die sie so kameradschaftlich zu den Reichtümern der Oxford Street unternommen hatten. Roses und Geoffreys Hände hatten warme Kleider gebracht, bunte Kleider, Dinge, die er so dringend brauchte, und dann hatten sie alles in einer großen Einkaufstasche verstaut. Er hatte nicht selbst befreit, sondern staunend zugesehen, wie geschickt sie waren. Es war eine Reise ins Zauberland der Möglichkeiten gewesen, als würde man ins Kino gehen und die Wunder dort nicht nur betrachten, sondern ein Teil von ihnen werden. Genau wie Sylvia, Sophie und Lucy gestern zu kleinen Mädchen geworden waren – »Kicherkinder« hatte Colin sie genannt –, wurde Franklin jetzt zu einem kleinen Jungen, dem wieder einfiel, wie weit weg er von zu Hause war. Ein Fremder, den die Reichtümer verhöhnten, die er nie besitzen würde.
    Sylvia kam herein, und sie trug rote Bänder in ihren goldenen Zöpfen, weil sie beschlossen hatte, dass Evansky nichts für sie war. Erst umarmte sie Frances, dann Franklin, und er war so dankbar für das, was er als Vergebung verstand, dass er wieder lächelte. Dann schüttelte er erneut reuevoll den Kopf über sich selbst und warf Frances betrübte Blicke zu; aber durch Sylvia, durch die Anmut des Mädchens und ihre Freundlichkeit war die Atmosphäre bald wiederhergestellt – beinahe jedenfalls.
    Immer mehr »Kinder«, die verkatert waren und schon wieder etwas zu trinken brauchten, kamen in die Küche, und als alle schließlich um den großen Tisch herum saßen und der riesige Vogel vor ihnen stand, befand sich die Gesellschaft schon in jenem schläfrigen Zustand der Überschreitung. Und tatsächlich nickte James über seinem Teller ein und musste geweckt werden. Franklin, der wieder lächelte, saß vor seinem übervollen Teller, dachte an sein armes Dorf, sprach im Stillen das Dankgebet und aß. Und aß. Die Mädchen hielten sich gut, sogar Sylvia, und es war unglaublich laut, denn die »Kinder« waren jetzt wieder Heranwachsende, auch wenn Andrew, der »alte Mann«, bei seinem Alter blieb, und Colin ebenso, obwohl er sich sehr bemühte, auch in Stimmung zu kommen. Aber Colin würde immer ein Außenstehender sein, der zusah oder auf etwas blickte, sosehr er auch den Clown spielen und dazugehören wollte – und er wusste das.
    Der Christmas Pudding wurde in Brandy-Flammen in die Küche gebracht, die man für ihn verdunkelt hatte, und inzwischen war es vier Uhr, und Frances sagte, dass das Zimmer oben für Julias Tee gut gelüftet und sauber sein müsse. Tee? Wer konnte noch einen Bissen essen? Alles stöhnte, und Hände griffen nach dem letzten Puddingbröckchen, einem Löffelchen Vanillesoße, einem Stückchen Früchtekuchen.
    Die Mädchen gingen ins Wohnzimmer hinauf und stapelten die Schlafsäcke in einer Ecke. Sie machten alle Fenster auf, um den Mief zu vertreiben. Sie trugen leere Flaschen hinunter, die über Nacht unter Stühlen oder in den Ecken gestanden hatten, und schlugen vor, dass man Julia vielleicht überreden sollte, ihre Gesellschaft um eine Stunde zu verschieben, sagen wir, auf sechs? Aber das kam nicht in Frage.
    Und jetzt saß James halb schlafend da und stützte den Kopf in die Hände, und Geoffrey sagte, er werde sterben, wenn er kein Schläfchen mache. Daraufhin boten Rose und

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