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Ein süßer Traum (German Edition)

Ein süßer Traum (German Edition)

Titel: Ein süßer Traum (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Doris Lessing
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gelungen sei, dafür zu sorgen, dass Jill in der Schule blieb. Im Antwortbrief hatte gestanden: »Bitte machen Sie sich keine Vorwürfe, Mrs. Lennox. Wir haben bei ihr nie etwas ausrichten können.« Diesmal stand in dem Brief: »Nein, sie hat es nicht für nötig gehalten, Kontakt mit uns aufzunehmen. Wir wären Ihnen dankbar, wenn Sie uns informieren könnten, sollte sie bei Ihnen auftauchen. Das St. Joseph’s hat nichts gehört. Niemand hat etwas gehört.«
    Frances schrieb an Roses Eltern, dass Rose im Herbsttrimester gut in der Schule gewesen sei. Im Brief von ihren Eltern stand: »Sie wissen das wahrscheinlich nicht, aber wir haben von unserem Kind nichts gehört, und wir sind dankbar für jede Nachricht. Die Schule hat uns eine Kopie des Zeugnisses geschickt. Eine ging sicher auch an Sie. Wir waren überrascht. Sonst war sie immer stolz darauf – so kam es uns jedenfalls vor –, wenn sie uns zeigen konnte, wie schlecht sie in der Schule war.«
    Auch Sylvia hatte sich gut gemacht. Das lag zum Teil an Julias Nachhilfe, aber in letzter Zeit fand sie nicht mehr so häufig statt. Sylvia war noch einmal hinauf zu Julia gegangen und hatte gesagt: »Bitte, Julia, sei nicht mehr so böse auf mich. Ich kann das nicht ertragen«, und ihre Stimme hatte vor Liebe und unter Tränen gezittert. Die beiden waren einander in die Arme gesunken, und es war beinahe derselbe Grad an Intimität wiederhergestellt, aber nicht ganz. Julia fand ein winziges Haar in der Suppe: Sylvia hatte gesagt, sie wolle »religiös sein«. Wenn sie Franklin berichten hörte, wie die Jesuitenpater ihn gerettet hatten, war sie tief berührt, und sie wollte sich unterweisen lassen und katholisch werden. Julia sagte, man habe auch von ihr erwartet, dass sie sonntags die Messe besuche, »aber weiter ging es wirklich nicht«. Trotzdem könne sie sich immer noch katholisch nennen.
    Sylvia und Sophie und Lucy verbrachten Heiligabend zunächst damit, einen winzigen Baum zu schmücken, den sie ins Fenster stellen wollten, dann halfen sie Frances bei den Vorbereitungen für das Kochen. Sie erlaubten sich, wieder kleine Mädchen zu sein. Frances hätte schwören können, dass diese kichernden, fröhlichen Wesen etwa zehn oder elf waren. Aus dem normalerweise mühsamen Geschäft, das Essen zuzubereiten, wurde eine Angelegenheit, bei der man Witze riss und die sogar Spaß machte, ja. Franklin kam, vom Lärm angezogen, nach oben. Geoffrey und James – sie würden im Wohnzimmer schlafen – und dann auch Colin und Andrew schälten die Kastanien und bereiteten die Füllung zu. Dann wurde der große Vogel mit Butter und Öl bestrichen und unter Jubel auf das Backblech gesetzt.
    Es wurde spät, und Sophie sagte, sie müsse nicht nach Hause gehen, ihrer Mutter gehe es wieder gut, sie habe ihr Kleid für morgen mitgebracht. Als Frances zu Bett ging, konnte sie gleich unten im Wohnzimmer die vielen jungen Leute hören, die unter sich eine Vorabend-Party feierten. Sie dachte an Julia, zwei Etagen weiter oben, die ganz allein war und sicher wusste, dass ihre Sylvia bei den anderen war … Julia würde nicht zum Weihnachtsessen kommen, aber sie lud alle zu einem richtigen Weihnachtstee in das Wohnzimmer ein, in dem sich gerade das Jungvolk betrank.
    Am Weihnachtsmorgen ging Frances wie Millionen andere Frauen überall im Land allein in die Küche hinunter. Durch die Wohnzimmertür, die wahrscheinlich zum Lüften offen stand, sah man zusammengerollte Silhouetten.
    Frances setzte sich mit einer Zigarette in der Hand an den Tisch, und aus einer Tasse mit starkem Tee stieg die Ahnung von einem Hang herauf, an dem unterbezahlte Frauen Blätter pflückten für diesen exotischen Ort, den Westen. Im Haus war es still – aber nein, sie hörte Schritte, und Franklin erschien von unten und strahlte. Er trug die neue Jacke, einen dicken Pullover und hob nacheinander beide Füße, um ihr die neuen Schuhe zu zeigen und die Socken; dann schob er den Pullover hoch, damit sie sein tartangemustertes Hemd sah, und schließlich lüftete er einen Zipfel des Hemdes, um ihr auch das leuchtend blaue Unterhemd vorzuführen. Sie umarmten sich. Sie hatte das Gefühl, die Verkörperung des Weihnachtsfests zu halten, denn er war so glücklich, dass er einen kleinen Freudentanz begann und in die Hände klatschte: »Frances, Frances, Mutter Frances, du bist unsere Mutter, du bist wie eine Mutter für mich.«
    Währenddessen fiel Frances auf, dass sich unverkennbar ein Schuldgefühl mit seiner

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