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Ein süßer Traum (German Edition)

Ein süßer Traum (German Edition)

Titel: Ein süßer Traum (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Doris Lessing
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auch.
    Sie irrte sich in beiden Fällen.
    Vor ihnen lagen die siebziger Jahre, die vom einen Ende der Welt zum anderen (der nicht kommunistischen Welt) Che-Guevara-Klone hervorbrachten, und an den Universitäten, besonders in London, wurde beinahe durchgehend die Revolution gefeiert, mit Demonstrationen, Unruhen, Sit-ins, Aussperrungen, Schlachten aller Art. Wo man auch hinsah, waren junge Helden. Johnny war jetzt ein großer alter Mann, und der Umstand, dass er ein beinahe reueloser Stalinist war, hatte einen gewissen begrenzten Chic bei diesen jungen Leuten, die größtenteils glaubten, dass der Kommunismus sein himmlisches Gesicht gezeigt hätte, wenn Trotzki den Machtkampf mit Stalin gewonnen hätte. Und es gab noch etwas, das ihn aus der Menge hervorhob: Seine Entourage bestand gewöhnlich aus jungen Männern und nicht aus beflissenen Mädchen. Sein ganzer Stil war falsch. Richtig war es, wenn Genosse Tommy oder Billy oder Jimmy mit verächtlichem Fingerschnipsen ein Mädchen herbeirief und zu ihr sagte: »Du bist bourgeoiser Abschaum.« Und damit zu verstehen gab:
Verlasse alles, was du hast, und komm mit mir.
(Oder eher:
Gib
mir alles, was du hast.) Und so geht es bis heute. Und es gab noch Schlimmeres. Wenn die Sauberkeit einmal gleich nach der Frömmigkeit gekommen war, dann waren Schmutz und üble Gerüche jetzt so gut wie ein Parteibuch. Übel riechende Umarmungen: Die hatte Johnny nicht zu bieten, weil Julia oder besser ihre Bediensteten ihn erzogen hatten. Das Vokabular – ja, damit kam er zurecht. Scheiße und Fuck, Ausverkauf und Faschist, ein großer Teil jeder politischen Rede musste aus solchen Wörtern zusammengesetzt sein.
    Aber jene dunstigen Freuden standen noch bevor.
     
    Wilhelm Stein, der auf dem Weg zu Julia so oft die Treppe hinaufging und jedem ernst zunickte, der ihm begegnete, klopfte an diesem Abend an die Küchentür, wartete auf das »Herein« und trat dann mit einer kleinen Verbeugung ein. Haar und Bart in Silberweiß, der Stock mit dem Silberknauf, sein Anzug und sogar seine Brille waren wie ein Tadel für die Küche und die drei, die am Tisch saßen und zu Abend aßen.
    Als zuerst Frances, dann Andrew und schließlich Colin ihn gebeten hatten, sich zu setzen, tat er es und hielt den Stock aufrecht neben sich fest, mit einer makellos gepflegten rechten Hand, an der ein Ring mit dunkelblauem Stein prangte.
    »Ich nehme mir die Freiheit, zu kommen und mit Ihnen über Julia zu sprechen«, sagte er und sah sie einen nach dem anderen an, um deutlich zu machen, wie ernst es ihm war. Sie warteten. »Ihrer Großmutter geht es nicht gut«, sagte er zu den jungen Männern, und zu Frances: »Mir ist durchaus klar, dass es schwierig ist, Julia davon zu überzeugen, das zu tun, was sie zu ihrem eigenen Besten tun sollte.«
    Die drei Augenpaare, die ihn jetzt anstarrten, sagten ihm, dass er sie falsch eingeschätzt hatte. Er seufzte, wäre beinahe aufgestanden, überlegte es sich anders und hustete. »Nicht dass ich meine, Sie hätten Julia vernachlässigt.«
    Colin griff das auf. Er war jetzt ein fülliger junger Mann, sein rundes Gesicht war noch jungenhaft, und die schwere Brille mit dem schwarzen Rand sah aus, als wollte sie die Züge zusammenhalten, auf denen viel zu oft ein sardonisches Lachen drohte.
    »Ich weiß, dass sie nicht glücklich ist«, sagte Colin. »Wir wissen das.«
    »Ich meine, sie ist vielleicht krank.«
    Das Problem war, dass Julia Sylvia verloren hatte. Ja, das Mädchen war noch im Haus, es war ihr Zuhause, aber aus den Ereignissen hatte Julia schließen müssen, dass es diesmal für immer war. Das sah Wilhelm doch sicher ein?
    Andrew sagte: »Julia zermartert sich das Herz wegen Sylvia. So einfach ist das.«
    »Ich bin kein so dummer alter Mann, dass mir Julias Gefühle nicht klar wären. Aber einfach ist es nicht.« Er war enttäuscht von ihnen und stand jetzt auf.
    »Was sollen wir Ihrer Meinung nach tun?«, fragte Frances.
    »Julia sollte nicht so oft allein sein. Sie sollte mehr spazieren gehen. Sie geht nur noch sehr selten aus, und ich muss betonen, dass das nicht an ihrem Alter liegt. Ich bin zehn Jahre älter als Julia, und ich habe nicht aufgegeben. Ich fürchte, das hat Julia getan.«
    Frances dachte daran, dass Julia in all den Jahren nicht ein einziges Mal ja gesagt hatte, wenn sie eingeladen worden war, zum Essen auszugehen, zu spazieren, in ein Theaterstück oder in eine Galerie zu gehen. »Danke, Frances, das ist sehr nett«, sagte sie immer.
    »Ich

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