Ein sueßes Versprechen
Landzungen.
Je tiefer sie in die Marschen kamen, desto dunkler wurde es. Die schier undurchdringliche Schwärze, noch nicht vom Mondschein gemildert, erwies sich als ihr Vorteil. Zu Rafes Erleichterung kamen die Erinnerungen, ohne dass er sich anstrengen musste, hießen ihn wie alte Freunde willkommen und führten ihn. Alles, was er tun musste, war das umliegende Land zu betrachten, um eine brauchbare Vorstellung davon zu erhalten, wo genau er sich befand. Umrisse, die sich vor dem Sternenhimmel abzeichneten, weckten Erinnerungen, auch wenn im Dunkeln sonst nichts zu sehen war.
Seine Sinne erinnerten sich an die unterschiedlichen Geräusche des Wassers, während er hindurchglitt, leise plätschernd, unter dem Rumpf, verrieten ihm, ob er sich in einem tieferen Kanal befand oder zu dicht an das Marschland geraten war. Er benutzte die Ruder, um die Wassertiefe zu prüfen, dann legte er sich wieder in die Riemen.
Obwohl er hier wegen seiner Ortskenntnis im Vorteil war, hatte er in dem Augenblick, als er die Assassinen im Boot gesehen hatte, alle Gedanken fallen lassen, ihnen hier aufzulauern und ihre Anzahl zu reduzieren. Vier einfache Sektenanhänger, und er hätte es vermutlich versucht, aber insgesamt sechs und zwei davon ausgebildete Mörder … es wäre zu riskant, selbst wenn er Loretta nicht bei sich hätte.
Daher mussten also List und Tücke seine Waffen sein. Er musste beides benutzen, um so viel Vorsprung zu bekommen wie nur möglich, genug, um ihnen zu erlauben, zu entkommen.
Der Himmel allein wusste, was vor ihnen lag, aber er würde sich mit den Problemen der Reihe nach befassen. Nur gut, dass das Glück, nachdem es sie vor ein paar Stunden im Stich gelassen hatte, wieder auf ihrer Seite war. Der Wind hatte zugenommen, pfiff durch das Riedgras, und der gespenstische Laut übertönte das Schlagen seiner Ruder.
Seit sie in die Marschen gefahren waren, hatten weder er noch Loretta ein Wort gesagt. Als sie in seine Richtung sah, fing er ihren Blick auf und gab ihr zu verstehen, still zu sein. Das Wasser trug jeden Laut weit, ob es nun windig war oder nicht. Sie drehte sich wieder zum Heck um und hielt Wache, spähte in das Schwemmland hinter ihm.
Er ruderte so schnell, wie er es nur wagte, was unter den herrschenden Bedingungen nicht viel heißen wollte. Immer wieder hielt er kurz inne, um nach Landschaftsmarken Ausschau zu halten, an die er sich erinnerte, und sich neu zu orientieren, sich zu vergewissern, dass sie wirklich waren, wo er meinte zu sein. In dem Kanal, den er meinte. Das Letzte, was sie brauchen konnten, war mit dem Ruderboot auf Grund zu geraten und festzusitzen. Wieder ins Wasser zurückzukommen wäre nur mit viel Wasserspritzen und Plätschern möglich.
Nach den Rufen und Flüchen zu schließen, die der Wind zu ihnen trug, hatte dieses Schicksal eines oder beide der Boote ereilt, worauf die Insassen wohl hatten feststellen müssen, dass es praktisch kein echtes Land gab. Im Dunkeln war es leicht, die moorähnlichen Schwemmlandinseln, die hier die ganze Küste säumten, mit festem Boden zu verwechseln.
Rafe folgte stur der Route in seinem Kopf, die auf lange zurückliegenden Sommern beruhte. Grimmig und angespannt betete er stumm, dass sich die Kanäle in den letzten Jahrzehnten nicht zu sehr verändert hatten.
Seine Erleichterung, als sie mehr oder weniger an der Stelle an die Mündung des Flusses kamen, wo sie seiner Erinnerung nach sein müsste, war gewaltig. Er bog darin ein, beugte sich vor und ruderte das kleine Beiboot mit kräftigen Schlägen flussaufwärts.
Nach und nach rückte das Ufer näher.
Loretta gestattete sich, aufzuatmen. Die Uferböschung war hier hoch genug, um sie zu verbergen, und der Fluss durchlief viele Windungen, sodass sie den Blicken ihrer Verfolger entschwunden waren. Es war fast, als reiste man in einem offenen Tunnel, der ins Land geschnitten war. Nach und nach merkte sie, dass das Wasser immer flacher wurde. Sie fragte sich, wohin Rafe sie brachte, aber sie wagte es nicht, ihn zu fragen, auch wenn sie die anderen Boote nicht länger hören konnten. Sie mochten ihren Blicken entzogen sein, aber sie konnten nicht so weit entfernt sein.
Dann kamen sie um eine Flussbiegung, und vor ihnen ragte ein Steg ins Wasser, ein dunklerer Schatten vor dem nächtlichen Himmel.
Sie schaute Rafe an, zeigte darauf. Er blickte über seine Schulter, nickte. Er änderte die Richtung, und hielt auf den Anlegesteg zu.
Geschickt wendete er das Boot, und es glitt langsam
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