Ein sueßes Versprechen
den Waldrand am Saum des Rasens ab, konnte aber weder etwas Gefährliches sehen noch anderes wahrnehmen.
Wenn sie nicht an die kalte klare Luft gekommen wäre, wäre sie durchgedreht. Nie zuvor hatte sie sich solche Sorgen gemacht – nicht um sich selbst, sondern um einen anderen. Um Rafe.
Sie wusste, er war fähig, bewahrte immer einen kühlen Kopf und war geistesgegenwärtig. Dass er daran gewöhnt war, auf sich aufzupassen, aber … sie war dennoch in Sorge. Unablässig.
Es trieb sie in den Wahnsinn.
Wenigstens bot ihr die frische Luft, gewürzt mit dem Holzrauch aus den Kaminen des Gasthofes, ebenso die Stille, die nur gelegentlich ein Vogelruf tief aus dem Wald unterbrach, ein gewisses Maß an Ablenkung. Sich zu bewegen half ebenfalls.
Sie erreichte den Rand der Rasenfläche und beschloss, da die Kälte durch ihren Umhang und die restliche Kleidung zu dringen begann, wieder zurückzugehen. Sie machte sich auf den Rückweg zum Eingang des Wirtshauses und wollte in die Wärme des Salons zurückkehren. Sie hatte den Rasen schon zur Hälfte überquert, als eine große schlanke Dame um die vordere Ecke des Hauses bog.
Die Dame erblickte sie, lächelte und kam zu ihr.
Loretta bemerkte ihren blassen Teint, ihr sehr hellblondes Haar und ihr freundliches Lächeln und entspannte sich ein wenig.
Die Dame blieb stehen, und Loretta tat das ebenfalls. Etwa ein Meter trennte sie.
Die Dame sah ihr ins Gesicht und neigte höflich den Kopf.
»Guten Tag. Ich bin Mrs. Campbell. Ich wohne in der Nähe.« Sie deutete vage in Richtung Stadt, dann lächelte sie gewinnend. »Offen gesagt, ich bin praktisch ausgehungert nach weiblicher Gesellschaft, aber dann habe ich von einem der Dienstboten gehört, hier sei eine Dame eingekehrt. Daher bin ich hergekommen – hätten Sie Lust, mit mir Tee zu trinken?«
Loretta lächelte.
»Danke, ich würde mich sehr über ein wenig Gesellschaft freuen.« Und die Ablenkung. Sie hielt ihr die Hand hin. »Miss Loretta Michelmarsh.«
Mrs. Campbell berührte ihre Finger.
»Michelmarsh? Ich glaube, ich habe Ihre Schwester Margaret kennengelernt.« Sie lächelte ein wenig selbstironisch. »Das muss allerdings schon einige Zeit zurückliegen – in unserer ersten Saison.«
»Margaret ist meine älteste Schwester.« Was hieß, dass Mrs. Campbell älter war, als sie aussah, irgendwas um die dreißig. Loretta deutete mit der Hand auf den Eingang zum Gasthof. »Wir sollten hineingehen. Es wird doch ein wenig frisch hier draußen.«
»Allerdings.« Mrs. Campbell drehte sich und ging mit ihr Seite an Seite zur Vorderseite. »Mrs. Shearer macht ganz ausgezeichnete Scones. Ich habe mir die Freiheit herausgenommen, sie zu bitten, uns welche zum Tee in den Salon zu bringen.«
»Wunderbar.« Loretta zitterte ein wenig, als sie um den Gasthof herumgingen. »Ich könnte ein wenig Wärme brauchen.«
Sie traten durch die Eingangstür in den Gasthof und begaben sich in den Salon, wo das Teetablett auf dem kleinen Tischchen vor dem Sofa stand.
Loretta platzierte ihren Muff mit der Pistole darin vorsichtig in der Sofaecke, streifte sich ihren Umhang ab und legte ihn über die Armlehne.
Mrs. Campbell hatte sich auf dem anderen Ende des Sofas niedergelassen und schenkte sich bereits Tee ein.
Loretta nahm die Tasse und Untertasse, die Mrs. Campbell ihr reichte.
»Danke.« Sie setzte sich. »Ich muss gestehen, ich kann Ablenkung gut brauchen. Meine Begleitung – wir reisen gemeinsam, wollen Freunde besuchen – hat mich verlassen, um Geschäfte zu erledigen. Bis er zurückkommt, bleibt mir nichts anderes zu tun, als hier zu warten.«
»Männer!«, entfuhr es Mrs. Campbell. Sie lächelte und trank von ihrem Tee. »Kommen Sie aus London? Haben Sie von der jüngsten Idee Seiner Majestät gehört?«
Loretta erwog zu lügen, aber Esme hatte immer gesagt, die erfolgreichsten Ausflüchte seien die, die der Wahrheit am nächsten kamen.
»Nein, habe ich nicht. Ich bin erst kürzlich vom Kontinent zurückgekehrt. Ich möchte Weihnachten auf dem Land verbringen und erst danach nach London fahren. Ich lebe dort mit meinem Bruder und seiner Frau.«
»Ah. Gut. Wohin haben Ihre Reisen Sie geführt?«
Dieses Thema bot sich für Unterhaltungen an. Loretta begann mit Paris, beschrieb dann die Rundreise durch Frankreich, Spanien und dann wieder Südfrankreich und Italien nach Triest.
»Dann sind wir nach Buda weitergereist. Das liegt an der Donau, daher haben wir weite Strecken auf dem Fluss zurückgelegt –
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