Ein sueßes Versprechen
wie der Fluss nachts aussieht … so romantisch.« Die Veränderung war erstaunlich. »Der Mond lässt alles ganz unwirklich und ätherisch aussehen, als ob sein Licht manches enthüllt und anderes versteckt, und der Dunst des Flusses zeichnet alles weich, hüllt es wie mit zarten Schleiern ein – alles wird ganz geheimnisvoll und fremdartig.« Sie hob den Blick. »Vorher ist mir gar nicht aufgefallen, dass wir bis zu den Bergen sehen können.« Der Mondschein schimmerte auf den Schneekuppen in der Ferne, überzog sie mit Perlmutt. »Sie sehen in diesem Licht so fantastisch aus, als stünden sie Wache an einem fernen Ort, den nur unerschrockene Reisende je zu sehen bekommen.«
Er wandte den Kopf, um die Berge zu betrachten. Aus ihrem Augenwinkel sah sie, wie seine Mundwinkel zuckten.
Schließlich sagte er auch etwas.
»Die gehören zu den höchsten Bergen Osteuropas, aber verglichen mit dem Himalaya wirken die hier wie bloße Hügel.«
»Sie waren im Himalaya?« Ihr Interesse musste sie nicht heucheln. »Wie sehen die Berge dort aus? Sind sie so majestätisch, wie alle Welt sagt?«
Rafe lächelte.
»Majestätischer sogar. Sie sind … unglaublich beeindruckend. Ein Anblick, der einem buchstäblich den Atem raubt.«
»Haben Sie das Gebirge im Sommer oder im Winter gesehen? Sind die Gipfel jemals schneefrei?«
Er drehte sich zu ihr um, beantwortete ihre Fragen – und schaute sie an; er bewunderte ihre ausdrucksstarken Züge im Mondschein. Er hielt seinen Ton beiläufig, seine Antworten sachlich und widerstand dem wachsenden Drang, die Hand auszustrecken und sie an sich zu ziehen. Näher. Dichter zu sich. Bis er ihre Wärme spüren konnte, ihre Rundungen an seinem Körper.
Aber da das nicht möglich war, konnte er sie wenigstens ablenken. Er wusste, wie es war, keinen Schlaf zu finden.
Daher redete er, und sie hörte zu. Darin war sie gut, darin, etwas oder jemandem ihre ganze Aufmerksamkeit zu schenken – in diesem Fall ihm. Oder immerhin seinen Erinnerungen. Ihre faszinierte Aufmerksamkeit war ein gewisser Trost.
Schließlich seufzte er. Sie blickte sich um. Im Gegensatz zu dem, wie er sich fühlte, schien sie mehr Frieden gefunden zu haben.
Nach einem Moment schaute sie ihn an und lächelte.
»Danke, dass Sie sich mit mir unterhalten haben. Ich glaube, jetzt kann ich einschlafen.« Ihr Lächeln vertiefte sich, während sie sich abwandte. »Gute Nacht.«
»Gute Nacht.« Wenn ihr auffiel, dass sein Gruß ein wenig grimmig war, ließ sie sich das nicht anmerken. Er schaute ihr zu, bis sie die Stufen nach unten ging, fand sich damit ab, dass er ihr nicht folgen konnte, und drehte sich wieder zum Fluss um und starrte auf das Wasser.
Nachdem Loretta ohne Zwischenfall wieder in ihre Kabine gelangt war, zog sie sich ihren Umhang aus, setzte sich auf die Bettkante und knöpfte ihre Stiefel auf. Sie ließ sich aufs Bett fallen, zog die Decke über ihre Schultern und rollte sich auf den Rücken. Sie betrachtete die Decke, ohne wirklich etwas zu erkennen, und fragte sich, warum ihr so … so leicht ums Herz war.
So wohl und mit allem im Reinen.
Schließlich hatten sie sich nur über die Landschaft unterhalten.
Sie schloss die Augen, sah ihn vor ihrem geistigen Auge, wie er im Mondschein an der Reling stand, und spürte, wie ihre Lippen sich zu einem Lächeln verzogen.
Damit schlief sie ein.
Am folgenden Nachmittag saß Loretta auf einem Liegestuhl auf dem Aussichtsdeck und stickte in dem diesigen Sonnenlicht, als Rafe zu ihr trat und einen weiteren Liegestuhl herbeizog, um sich darauf niederzulassen.
Nach einem Moment schaute sie ihn an. Er streckte seine langen Beine aus, lehnte sich zurück und schloss seine Augen. Aber sie erhaschte einen Blick auf das Blau unter seinen Wimpern.
»Seltsam«, murmelte er. »Ich hätte Sie nicht zu den Frauen gezählt, die gerne sticken.«
Sie lächelte und schaute wieder auf ihre Handarbeit. »Gewöhnlich sticke ich nicht viel, aber während dieser Reise war ich schon oft wirklich dankbar dafür, dass ich daran gedacht habe, meinen Stickbeutel einzupacken. Wenn Esme nicht gerade mit etwas beschäftigt ist, ist sie eher ruhig. Sie redet nicht viel.«
»Wie kommt es, dass Sie mit ihr auf Reisen sind? Ist sie Ihre einzige Verwandte?«
»Oh nein. Genau genommen habe ich Esme, bis sie gekommen ist und mich einfach auf dieses Abenteuer mitgenommen hat, jahrelang nicht gesehen.«
»Aber sie ist Ihre Großtante.«
»Ja, aber sie führt ein sehr unstetes Leben. Ihr
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