Ein Tag im Maerz
doch jetzt geriet es ins Stocken. Bryony wirkte müde.
Adam spürte das Kondenswasser auf seiner Flasche und spielte mit dem Etikett.
»Alles in Ordnung?«, fragte Bryony. Ihre geraden weißen Zähne glänzten, als sie sprach.
»Ja. Ja. Prima, danke.«
»Du siehst richtig gestresst aus«, sagte sie, neigte den Kopf auf eine Seite und lächelte breit. Ihr Pferdeschwanz strich ihr über die Schulter. Wenn sie sich auf jemand anderen konzentrierte, schien sie zu neuem Leben zu erwachen.
Adam holte tief Luft, und einen Augenblick lang fragte sich Bryony, ob er genug von ihr habe. Ob ihn ihr Brüten und ihre Trübsal, die sie ihm nie erklärt hatte, langweilten. Ob ihn die Distanzmauer abstieß, die sie immer errichtete, sobald das Gespräch auf ihr Leben und ihre Gedanken kam.
»Ach, ich habe im Augenblick alle Hände voll zu tun …« Er verstummte.
Bryony blinzelte mehrmals. Ihr Gesicht war so nackt wie eine frische Leinwand. Ihre Augen hatten sich geleert, und zwei riesige feuchte Teiche sahen ihn glänzend an.
Bryony und Adam wussten beide, dass er während seinerSchichten im Café nur selten »alle Hände voll zu tun« hatte, oft bloß aus dem Fenster starrte und geistesabwesend immer wieder den gleichen Tisch abwischte.
»Dein Studium?«, fragte sie.
»Ja, das auch«, sagte er und nahm einen langen Zug aus der Flasche. »Hör zu, Bryony … ich muss dir etwas sagen.«
»Okay, was ist los?« Sie lächelte spielerisch, aber tief in ihrem Inneren fragte sie sich, ob ihre Freundschaft zu Ende war. Vielleicht hatte er eine Freundin. Vielleicht gab es eine Frau in seinem Leben, die nicht mochte, dass er sich mit ihr abgab … Sie empfand mit einem Mal eine tiefe Traurigkeit bei dieser Aussicht, doch sie schob den Gedanken beiseite und blickte Adam an. Er sah merkwürdig aus.
Er setzte zu einem Stammeln an, konnte aber nicht einmal den Satz beginnen, geschweige denn ihn beenden.
Sie fragte sich, ob es ihm gut ging. Seine Haut wirkte wächsern, und seine Augen zuckten nervös hin und her.
Und dann, ohne jede Warnung, beugte er sich über den Tisch zwischen ihnen vor, und ehe Bryony begriff, was vor sich ging, hatte er die Finger in ihrem Pferdeschwanz und küsste sie.
»Adam!«, keuchte sie und stieß ihn von sich.
Adam wich auf seinen Platz zurück und sah Bryony starr vor Zorn vor sich. Er hatte ihr Weinglas umgestoßen, und das Klirren des zerspringenden Glases hatte jede Menge Zuschauer auf sie aufmerksam gemacht.
»Bryony … es tut mir leid«, sagte er und schlug die Hände vors Gesicht, peinlich berührt von den Menschenscharen, die gerade seinen gescheiterten Versuch beobachtet hatten, das schönste Mädchen in der Bar zu küssen. Er blickte sie verschämt an. Sie hatte die Augen aufgerissen und erinnerte ihn an eine erschrockene Hirschkuh. Ihre Reaktion war so extrem. So dramatisch. Die Wut in ihren Augen flößte ihm Angst ein.
»Was um alles in der Welt soll das? Ich dachte, du wärst mein Freund! Ich … ich brauche das nicht, okay? Ich brauche dich nicht …«, flüsterte sie zornig, und in ihr Gesicht trat eine Aggression, die Adam an ihr noch nie erlebt hatte.
Doch zugleich sah sie vor allem ängstlich aus.
Bryony starrte Adam einige Sekunden lang an, dann stand sie auf, packte ihre Handtasche und stürmte aus der Bar.
Nach ihrem Verschwinden saß Adam mindestens fünf Minuten lang da. Durch sein übereiltes Handeln hatte er das Wunderbarste verloren, das seit Langem in sein Leben getreten war.
36
Von der schönen jungen Frau, die ihr gegenübersaß.
Samstag, 5. September 2009
Covent Garden, London-Mitte
15 Uhr
Bryony war nervös.
Die Angst hatte sich in ihrer Magengrube materialisiert wie tausend winzige Schmetterlinge, die plötzlich zum Leben erwachten und mit den Flügeln schlugen. Ihr war übel, und sie fühlte sich reizbar. Sie hatte so viele Lügen über sich erzählt und musste jetzt damit weitermachen, damit ihre Geschichten in sich stimmig blieben – bei einem kleinen Versuch, die Monstrosität zu verstehen, die ihr widerfahren war.
Sie war sich nicht einmal sicher, ob es eine gute Idee war, sich mit Sharon zu verabreden, einer Frau, die so wenig von sich preisgegeben hatte. Sie trafen sich nun schon zum dritten Mal. In ihren Gesprächen schien es mehr darum zu gehen, dass Bryony redete, während Sharon nur zuhörte und alles aufnahm, was sie von der schönen jungen Frau, die ihr gegenübersaß, erfahren konnte.
Diesmal hatten sie sich auf dem
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