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Ein Tag im Maerz

Ein Tag im Maerz

Titel: Ein Tag im Maerz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jessica Thompson
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blätterte in ihren Papieren. Ein Nachrichtenbanner lief am oberen Rand des Bildes entlang, aber Rachel las es gar nicht richtig; sie hatte genug Krisen zu Hause. Wo immer das war. Sie konnte sich auf nichts anderes konzentrieren.
    Rachel klemmte sich eine Zigarette zwischen die Lippen, um ihre Nerven zu beruhigen, und zündete sie an. Dann ging sie systematisch die Briefe, Fotos und Notizen durch, die vor ihr auf dem Tisch lagen. Sie nahm an, dass Lisa den Karton mit den Erinnerungsstücken hervorgeholt hatte, als Rachel so unvermittelt in ihr Leben zurückkehrte, und sie war noch nicht dazu gekommen, alles wieder wegzuräumen. Jetzt lagen sie kreuz und quer zwischen Rechnungen und Kontoauszügen.
    Lisas Schrift war schräg, kritzelig und wütend. Die Rechtschreibung war furchtbar, und Rachel empfand einen Stich der Traurigkeit in ihrer Magengrube, als ihr erneut klar wurde, wie sehr sie sich unterschieden   – wie anders ihr eigenes Leben hätte verlaufen können.
    Rachel fuhr mit dem Finger über die Gesichter auf den Fotos, versuchte Namen abzugleichen und schrieb sich in ihrem Notizbuch auf, was sie nicht vergessen wollte. Sie warf auch immer wieder Blicke auf die Kontoauszüge und zählte die Beträge im Kopf zusammen.
    Sie versuchte, Spuren ihres leiblichen Vaters zu finden. Sie stieß auf einen Schnappschuss aus den frühen Achtzigerjahren und wurde neugierig. Er zeigte Lisa auf einem Feld mit einigen Freunden, darunter zwei Männer. Lisa sah ein wenig schlanker aus, sie war sogar recht hübsch. Sie lächelte strahlend. Ist einer dieser Männer mein richtiger Vater?
    Als Rachel fertig war, achtete sie gewissenhaft darauf, dass jedes Blatt und jedes Foto wieder genau dort lag, wo es gelegen hatte, und dass die Kekskrümel, mit denen alles bestreut gewesen war, wieder die obersten Seiten zierten, ganz so, wie sie sie vorgefunden hatte.

38
    »Der Mond ist an einem blöden Fleck am Himmel.«

    Dienstag, 22. September 2009
    Finsbury Park, Nord-London
    20 Uhr 30
    »Glaubst du, Max sitzt auf dem Mond in einem Schaukelstuhl und isst Käse?« Am anderen Ende der Leitung herrschte Schweigen. Bryony zog die Beine unter den Körper und lehnte sich weiter aus dem Fenster, hielt sich dabei aber gut am hölzernen Rahmen fest. Sie hörte, wie Eliza in das Telefon atmete, und leise Kochgeräusche im Hintergrund: das Klappern von Besteck, das leise Brutzeln einer Pfanne.
    »Äh, das könnte natürlich möglich sein.«
    Im Telefon zischte es ein wenig, und Bryony nahm es vom Ohr und schlug es gegen den Fensterrahmen.
    »Hast du gerade wieder dein Telefon geschlagen?«
    »Nein.«
    »Doch, hast du. Ich habe es dir schon einmal gesagt   – es funktioniert nicht. Du bist wie so ein Idiot in der Bahn, der mit seinem Handy rumwedelt und nach einem Signal sucht«, sagte Eliza tonlos, aber sie lächelte. Bryony hörte es ihrer Stimme an.
    »Hörst du mich jetzt?«, fragte Bryony und sah zum Mond hoch.
    »Jau. Also, wieso sollte Max auf dem Mond sein?«
    Bryony lächelte breit, und ein leichter Wind kitzelte ihr im Gesicht. Hinunter aufs Pflaster war ein langer, tiefer Fall, und sie hing gefährlich auf dem Fensterbrett; ein Bein baumelte sanft gegen die Mauer. Sie hörte das leise Gemurmel der Unterhaltung von einer Gruppe Raucher vor einem Pub.
    Einer der Raucher blickte auf und bemerkte sie. »He, vorsichtig, Kleines!«, rief er. Der Mann war von lachenden Freunden umgeben, von denen Wolken aus Zigarettendunst aufstiegen. Einer von ihnen sagte leise: »’ne Bekloppte« zu den anderen, aber Bryony hörte ihn.
    »Leck mich am Arsch!«, brüllte sie.
    »Bryony! Das habe ich gehört! Du hängst doch nicht schon wieder aus dem Fenster, oder?« Eliza seufzte. Sie kannte Bryonys Wohnung genau und wusste exakt, was sie tat und wie gefährlich es war.
    »Kein Problem. Beruhige dich.«
    »Also, was würde er denn auf dem Mond suchen?«, fragte Eliza wieder. Ihrer Stimme war Traurigkeit anzuhören. Für sie war es schwierig gewesen, Bryony auf dieser Achterbahnfahrt zu beobachten. Sie hatte Max nicht besonders gut gekannt, aber genügend, um seinen Verlust zu spüren, und mit ansehen zu müssen, wie ihre Freundin solche Qualen durchmachte, ließ sich manchmal gar nicht ertragen.
    »Ich finde es tröstlich, zum Mond hochzusehen und zu denken, dass er da oben ist und mich nachts sieht«, sagte Bryony.
    Zum ersten Mal seit langer Zeit empfand sie eine Art von innerem Frieden. Statt dass ihr bei jedem Gedanken an Max die Tränen kamen, konnte

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