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Ein Tag im Maerz

Ein Tag im Maerz

Titel: Ein Tag im Maerz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jessica Thompson
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schon lange nicht mehr gesagt.
    »Das ist fantastisch.« Bryony hörte das Lächeln in der Stimme ihrer Freundin. »Ich helfe, so viel ich kann. Gehst du jetzt bitte rein?«, bat Eliza.
    »Okay, okay«, sagte Bryony. Sie schwang die Beine herum, zurück in die Wärme des Schlafzimmers. »Gute Nacht, Liebes.«
    »Träum süß.«
    Bryony legte auf, rutschte von der Fensterbank und landete mit einem leisen Rumms auf dem Teppich.
    Sie holte den Spiegel und stellte ihn auf die Kommode, wie Eliza vorgeschlagen hatte, dann drehte sie ihn so, dass sie von ihrem Bett aus den Mond sehen konnte.
    Sie glitt unter die Bettdecke und schlief fast augenblicklich ein.

39
    Wenn sie es nur versuchen würde.

    Montag, 28. September 2009
    Flügel A, Gefängnis High Elms, Südwest-London
    2 Uhr
    Er hatte nun fünf Briefe geschrieben. Mit zitternder Hand hatte er sie zu Papier gebracht, das er in dünne Umschläge stopfte, sorgfältig mit schwarzem Bic Medium adressiert. Eine Postleitzahl, zittrig, mit Angst geschrieben, unsicher, ob der Brief wirklich dort willkommen wäre, wo er auf dem Fußabtreter landete.
    Aber keine Antwort   …
    Dem letzten Brief hatte er einen Besuchsantrag beigefügt, damit Bryony Weaver ihn im Gefängnis aufsuchen konnte, falls sie es wünschte.
    Bryony muss mich hassen, dachte Keon, mehr als man einen Menschen hassen kann . Er trommelte mit den Fingerspitzen leicht auf den Tisch. So wie meine Mutter mich hasst, und meine Schwester, und   …
    »Alles okay, Junge?«, kam eine vertraute Stimme von links. Dort saß Eddie, in der Hand eine zerfledderte Ausgabe von Der Herr der Ringe. Keon hatte nicht einmal gemerkt, wie er sich setzte.
    Eddie begann, mit seiner Tüte Murmeln zu spielen. Er drehte sie in seiner rechten Hand.
    Ich ertrage das nicht mehr. Ich schaffe das nicht. Ich bin so trau rig. Ich bin so furchtbar traurig, dass ich daran ersticken könnte. Ich weiß einfach nicht, wie ich das durchstehen soll, dachte Keon.
    Einige Sekunden herrschte Schweigen, ehe Keon aus dem Abgrund seiner düsteren Gedanken herausfand.
    »Keon   … Keon. Hallo?«, sprach Eddie ihn erneut an. Er riss eine kleine Ecke vom Umschlag des Buches und rollte sie zwischen seinen Fingern zu einem kleinen Ball.
    »He! Lass das, ich will es als Nächster lesen«, rief Keon, schlug Eddie leicht auf die Hand und zog das Buch zu sich. Dabei schleifte er es versehentlich durch eine Pfütze aus Orangensaft. Er seufzte laut.
    Lesen war das Einzige, was seine Gedanken von dem folternden Ticken der Uhr abhielt, das maß, wie sein Leben still in die Nacht davonglitt, während er langsam an der Schuld und der Scham starb, die er in jeder wachen Minute empfand. Irgendwo hatte Keon gelesen, dass man an gebrochenem Herzen sterben konnte. Er hatte sein Herz selbst gebrochen, aber auch die Herzen anderer Menschen. Das war eine große Last für seine schmalen Schultern, die er tagein, tagaus zu tragen hatte und die ihm nie Ruhe ließ.
    Erleichterung fand Keon nur, wenn er ein Buch aufschlug. Dann schlüpften die Gespenster davon, um eine Weile lang jemand anderen zu jagen. Keon hatte sich in verschiedenen Welten verloren; er war zwischen die Seiten getreten, hatte die Gerüche gerochen und die Geräusche gehört und alles gesehen. Das ganze Leben und Erleben und Existieren und Atmen, das hinter der verschlossenen Tür seiner Betonzelle ablief. Er hatte mit der Hilfe eines kleinen, zerfledderten Lexikons zum Nachschlagen sogar neue Wörter gelernt. Manchmal mehrere an einem Tag. Assimilation. Einmütig. Hyperbel. Prosperität.
    Keon hatte versucht, sie in seine Sätze einzubauen, aber entweder verstanden die Leute ihn dann nicht, oder er benutztesie im falschen Zusammenhang und wurde ausgelacht. Das war ihm jedoch egal; die Literatur war zu seiner großen Zuflucht geworden.
    »Tut mir leid, Kumpel«, sagte Eddie mit beschämter Miene und senkte den Kopf.
    »Schon gut. Was machst du so?«, fragte Keon ihn und musterte den Freund von der Seite.
    »Ach, ich habe ein bisschen Langeweile, wenn ich ehrlich bin. Weißt du, ich hab in letzter Zeit kaum noch das Haus verlassen, versuche Geld zu sparen und alles«, sagte Eddie und begann zu lachen. Er klang leicht überdreht.
    Auch Keon lachte, wenngleich ein bisschen unsicher. An Eddies Haltung zu ihrer Lage war etwas unglaublich Komisches   – das mochte Keon so sehr an ihm. Sein Humor war von Sarkasmus geprägt, nur war Keon nicht ganz klar, ob seine Bemerkungen wirklich immer so düster gemeint waren,

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