Ein Tag im Maerz
nur allzu vertraute Panik in die Brust. Seine Turnschuhe klatschten über den nassen Beton des Gehwegs. Eine alte Dame schlurfte langsam an ihm vorbei. Sie trug einen langen Mantel und einen rosaroten Regenumhang; ihr Hund, ein kleiner brauner Terrier, sah höchst erbärmlich drein. Tom empfand eine starke Verbundenheit mit dem Hund mit seinem Ausdruck purer Melancholie auf den feuchten, felligen Lippen.
Während er den beiden langen Straßen folgte, die zu dem chinesischen Imbiss führten, fragte er sich, was Sara an diesemAbend tat. War sie allein im Bett, fühlte sich traurig und war noch wütend? Arbeitete sie in ihrem geliebten Restaurant?
Tom betrat geduckt das Lokal und genoss den Geruch nach chinesischem Essen, der ihn begrüßte, viel mehr, als er für möglich gehalten hatte. Ihm lief das Wasser im Mund zusammen, und er war insgeheim froh, dass sie sich auf das Fertigfutter geeinigt hatten – mal wieder –, statt zu versuchen, selbst etwas zu kochen. Im Moment konnte er sich nicht aufs Kochen konzentrieren; auf gar nichts konnte er sich konzentrieren, nicht einmal seine Kunst, die er so liebte. Seelennahrung war genau das, was er brauchte.
Er bestellte und setzte sich. Sollte er noch einmal versuchen, Sara zu erreichen? Ein übergewichtiger Mann Mitte dreißig wartete ebenfalls auf sein Essen. Er hatte einen Jungen im Teenageralter bei sich, der wohl sein Sohn war. Beide trugen sie Manchester-United-Trikots und sahen sich ähnlich wie Klone: Der Junge hatte die gleichen stechenden blauen Augen wie sein Vater, und beide trugen ihr dichtes braunes Haar mit Gel nach hinten gekämmt.
»Wann siehst du denn das nächste Mal Mum?«, fragte der Junge, wischte sich mit dem Handrücken die Nase ab und sah auf seine Füße.
Der Mann rutschte unbehaglich auf dem Stuhl hin und her, und dunkle Wolken zogen plötzlich über sein Gesicht. Ein kleiner Fernseher in der Zimmerecke zeigte verschneit eine Soap, hatte aber einen Wackelkontakt, sodass das Bild alle paar Sekunden flackerte. Das nervt, dachte Tom. Er fühlte sich hilflos, so vollkommen hilflos.
»Weiß ich nicht, Mann. Wenn ich dich Montag nach der Schule bei ihr absetze?« Der Mann zuckte mit den Schultern und betrachtete konzentriert die Fische in dem großen Aquarium hinter der Kasse.
»Nein, das meine ich nicht, Dad. Ich meine, wann siehst du sie mal wieder richtig. Es tut ihr leid, weißt du; sie vermisst dich echt.« Er zerriss langsam eine Seite aus der Sun; die Zeitung lag auf dem kleinen Tisch vor ihnen, neben einigen Frauenzeitschriften voller Artikel wie »Was tragen Sie im Sommer?« und »Was ihn im Bett glücklich macht«.
Die Züge des Vaters wurden ein wenig weich, aber trotzdem sah er dem Jungen noch immer nicht in die Augen. Tom beobachtete sie verstohlen, gebannt von dem Gespräch, das vor ihm ablief.
»Na ja, das hätte sie sich ja vorher überlegen können, oder?«, entgegnete der Mann und räusperte sich.
Der Junge saß da wie ein begossener Pudel und trat leicht mit dem Fuß gegen den Tisch, dann sah er Tom an. Tom drehte den Kopf weg, verlegen, dass er dabei ertappt worden war, wie er sie beobachtete und ihr Gespräch belauschte.
Wenn er sich die drei hier so anschaute, hatten sie nichts gemeinsam außer dem Umstand, dass sie alle drei männlich waren und in dem gleichen, stinkigen Imbiss auf ihr Essen warteten. Dennoch hatte etwas an dem Dialog Tom kalte Angst eingejagt, und das lag auch an dem Gesichtsausdruck des Vaters. Er sah aus wie jemand, der nicht verzeihen konnte.
Tom nahm das Handy aus der Tasche und ließ den Finger über der Schnellwahltaste für Saras Nummer schweben. Er liebte sie so sehr, dass ihr Name seine Augen beinahe brennen ließ. Er durfte sie nicht verlieren. Das wäre sein Ende.
Er war auf der Dating-Website angemeldet gewesen, damit er die Nachrichten lesen konnte, über die er sich immer wieder totlachte … einige SMS , die er bekam, waren zum Schießen komisch. Die Site konnte gratis benutzt werden und kostete ihn keinen Penny. Geantwortet hatte er nie. Er hatte nie auf irgendetwas reagiert. Verdiente er dafür, dass seine unglaublich wunderbare Ehe in die Brüche ging?
Es war demütigend. Ihm war klar, dass viele seiner Freunde und Bekannten vermutlich die gleichen voreiligen Schlüsse ziehen würden wie Sara. Er konnte nicht fassen, wie blöd er gewesen war.
Tom starrte ihren Namen auf dem Display an und fragte sich, was er ihr sagen sollte. Er drückte die Anrufen-Taste und hielt sich das
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