Ein Tag im Maerz
Eifersucht?
»Na ja, mein Leben ist ziemlich langweilig. Aber du …« Mit einem Mal leuchtete in Lisas Gesicht menschliche Wärme auf. »Als ich deinen Namen erfuhr, dachte ich mir sofort, dass du diese Tänzerin bist … Ich weiß, ich sehe nicht so aus, als würde ich vom Ballett was verstehen, aber ich habe von dir gelesen. Ich möchte, dass die Kleine auch tanzt, wenn sie alt genug ist und wenn ich es mir leisten kann.« Sie sah zu Boden, dann hobsie wieder den Blick und begegnete Rachels mit ehrfürchtiger Bewunderung.
Unversehens hatte sich Lisas Verhalten verändert, und Rachel fragte sich, ob ihre anfängliche Kühle daher kam, dass sie nicht gleich mit allem herausplatzen wollte.
»Es ist wirklich erstaunlich, Rachel … Ich habe von dir gehört, von dir in der Zeitung gelesen und so, und ich wusste nie, dass du meine …« Sie vermochte den Satz nicht zu beenden. »Du musst mir erzählen, wie du zu dieser Tänzerin geworden bist.« Lisa beugte sich vor und wischte sich eine Träne von der Wange.
In Gedanken ließ Rachel die Jahre an sich vorüberziehen; alles verschwamm ineinander, und doch war es wunderbar, diese verschwommenen Dinge erlebt zu haben. Sie erinnerte sich, dass sie trotz aller Klagen und Beschwerden und Wut an jedem einzelnen Morgen das Aufstehen genossen hatte. »Na ja … äh … Mu… Mum hat mich immer zu Ballettkursen gebracht, seit ich alt genug war, um zu wissen, dass ich das wollte. Und ich habe es wirklich immer geliebt – sie bekam mich eigentlich kaum nach Hause. Als kleines Mädchen habe ich mich jedes Mal, wenn sie mich abholen kam, in den Umkleideräumen versteckt, weil ich nicht weg wollte.«
»Das ist süß«, sagte Lisa, nahm eine vorgedrehte Zigarette aus einer goldenen Dose und zündete sie sich an.
»Seit ich ein kleines Mädchen war, habe ich mich in allen Produktionen, in denen ich auftrat, gut geschlagen, und ehe ich mich versah, tanzte ich beim Royal Ballet vor. Als ich aufgenommen wurde, dachte ich, ich hätte meinen Zenit erreicht, aber das stimmte nicht, es ging einfach immer weiter.« Rachel war mittlerweile von Entzücken übermannt.
Lisa lächelte tapfer. »Das ist unglaublich, Rachel. Deine … deine Eltern müssen ja so stolz auf dich sein.« Sie stieß eineRauchwolke aus. In ihrem Gesicht stand tiefe Sehnsucht, aber auch ein Hauch von Dankbarkeit.
Oder Bedauern , fragte sich Rachel. Sie wurde aus ihrer leiblichen Mutter noch nicht ganz schlau und las alles Mögliche in ihre Miene hinein.
»Ja, danke. Sie haben mich unglaublich unterstützt.« Rachel senkte den Blick und hoffte, dass sie damit kein Salz in Lisas Wunden rieb. Denn sie musste sich doch verletzt fühlen, nicht wahr? Schließlich gab doch niemand gerne sein Kind weg, oder?
Als lese sie Rachels Gedanken, sagte Lisa: »Du willst jetzt wahrscheinlich wissen, was passiert ist.« Sie drehte den Kopf wieder zum Fenster. Die Sonne des Juniabends fiel in die Wohnung und wärmte ihr ein wenig das Gesicht.
»Ja, das würde ich wirklich gern. Es wäre schön«, sagte Rachel und wappnete sich für das, was sie hören würde.
Lisa atmete tief durch. »Ich war fünfzehn. Ich war jung und dumm, und ich wurde schwanger von einem Jungen – von Nigel, deinem Vater. Und ich sage es dir gleich, weil du es wissen solltest: Der lebt nicht mehr.«
Schweigen setzte ein; zu hören waren nur die Geräusche, die das kleine Mädchen machte, und ein langsames, lautes Ticken von der alt aussehenden Uhr an der Zimmerwand.
Tot. Ihr leiblicher Vater war tot. Rachel spürte einen tauben Nebel, der sich in ihrem Körper ausbreitete. Lisas Stimme hörte sie nur noch als fernes Echo.
»Er war auf Drogen, er trank zu viel, und er ist mit dreiundzwanzig an einer Überdosis gestorben. Tut mir leid, dass du es so erfahren musst. Er war kein guter Mann, Liebes – und ich bin keine, die Menschen in den Himmel hebt, nur weil sie tot sind«, sagte Lisa unverhohlen. »Wenn sie gut im Leben waren, sind sie auch gut im Tod, aber wenn sie es nicht waren, dann verdienensie es auch nicht, wenn sie gestorben sind. Verstehst du, was ich meine?« Sie kniff die Augen zusammen, weil das, was sie aussprach, sie noch immer tief berührte.
Rachel wusste, was sie meinte, ganz gleich, wie unbeholfen es ausgedrückt war.
»Okay. Aber was ist mit dir? Was ist passiert?« Ihr tropfte der Schweiß fast von den Handflächen, so nervös war sie.
»Na, dein Vater ist abgetaucht, als ich schwanger wurde, und meine
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