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Ein Tag im Maerz

Ein Tag im Maerz

Titel: Ein Tag im Maerz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jessica Thompson
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sie traurig.
    Was Rachel vor sich sah, gehörte nicht in ihre Welt, doch man hatte sie dazu erzogen, andere nicht nach Äußerlichkeiten zu beurteilen. Sie trat zaghaft in die Wohnung, bückte sich und zog die Stiefel aus. Die Wohnung war trotz der Jahreszeit überraschend kalt, und in der Luft hing merklich Feuchtigkeit. Rachel fühlte sich an die alternden Gemeindesäle erinnert, in denen sie als Kind getanzt hatte; an Pirouetten in dem groben Pullover, den sie trug, damit sie sich nicht erkältete.
    »Nein, schon gut, brauchst du nicht, Liebes, hat hier sowieso keinen Zweck«, sagte Lisa und schob die Kleine vor sich ins Wohnzimmer. Das kleine Mädchen krabbelte unbeholfen auf Händen und Knien. Es trug einen pink und weiß gestreifen Strampler und grinste breit.
    Lisa bat auch Rachel in den Raum. Als Rachel durch die Tür kam, empfing sie ein entsetzliches Durcheinander. Ein kleiner Couchtisch erstickte unter Rechnungen und Kassenbons. Gefährlich nah an seinem Rand standen vier Kaffeebecher, und in der Ecke flackerte ein riesiger Fernseher, der auf stumm geschaltet war. Auf dem Boden lagen Windelverpackungen, Stofftiere, denen diverse Gliedmaßen fehlten, und ein Sammelsurium von Schuhen.
    »Setz dich, Liebes«, sagte Lisa, ließ sich auf das größte Sofa sinken und schlug die Beine unter, sodass sie bequem saß.
    Rachel hockte sich auf den Rand eines knarrenden Sessels; sie fürchtete sich zu sehr vor dem, was in seinen Ritzen lauern könnte, als dass sie sich hineinsinken lassen wollte.
    Gerade als es schien, als würden sie ihr Gespräch beginnen, fiel Lisas Blick auf den Couchtisch, und ein Ausdruck der Panik schoss über ihr Gesicht. Sie stand rasch auf und schob einige Papiere auf etwas, das Rachel nicht genau hatte erkennen können. Lisa wandte sich um, lächelte gezwungen und setzte sich wieder.
    Rachel fand es merkwürdig, doch ihrer leiblichen Mutter zum ersten Mal gegenüberzusitzen lenkte sie zu sehr ab, als dass sie ihrem Verhalten einen weiteren Gedanken schenkte.
    »Also bist du endlich gekommen?«, fragte Lisa in einem versöhnlichen Ton. Unbewusst fuhr sie sich durchs Haar, ein Versuch, es zu ordnen. Ihre Augen zuckten von links nach rechts über das Durcheinander, in dem sie lebte, aber da ließ sich jetzt nichts mehr machen. »Mir wär’ es ja lieber gewesen, du hättest mir vorher Bescheid gesagt, dass du kommst, dann hätte ich wenigstens   … na ja, ’n bisschen aufräumen können in der Bruchbude hier.« Sie ließ ihr stumpfes Haar in Ruhe und wies um sich.
    Hier fand sich nichts von den klaren Linien und edlen Stoffen, an die Rachel gewöhnt war. »Ja, tut mir leid. Ich fand es schwierig   … den Mut zusammenzunehmen.« Sie bemerkte, dass ihre Hände züchtig in ihrem Schoß lagen. Sie löste die Finger voneinander.
    »Weiß deine Mutter, dass du hier bist?«, fragte Lisa besorgt.
    »Ja, aber natürlich«, log Rachel und spürte, wie ihr die Röte in die Wangen stieg.
    »Okay, das ist gut. Es ist wichtig, dass sie damit einverstanden ist. Also, was willst du wissen?«, fragte Lisa fast geschäftsmäßig nüchtern.
    Für Rachel war es bereits offensichtlich, dass diese Frau ein Kraftpaket war, aber nicht von der Art, die sie sich vorgestellt hatte. Lisa ließ sich eindeutig von niemandem etwas gefallen. Sie schien keinerlei Gefühl in sich zu haben, als bestünde sie aus den gleichen harten Materialien, die hier zu einem hohen Wohnblock aufgetürmt worden waren. Rachel fand es entnervend.
    »Na ja, ich hätte gern mehr über dich erfahren«, begann sie. Im nächsten Moment fiel ihr auf, dass ihr nicht einmal ein Tee angeboten worden war. Tränen brannten ihr in den Augen, und sie ermahnte sich, die Fassung zu bewahren. Stark zu sein.
    »Okay, also, ich bin Lisa. Ich bin achtunddreißig   …«
    Rachel rechnete im Kopf nach; die Zahlen sprangen über einen hektischen Abakus. Fünfzehn. Sie war erst fünfzehn, als sie mich bekam, dachte Rachel, unfähig, diesen Gedanken in seiner Ungeheuerlichkeit zu erfassen.
    »Ich bin Pflegerin. Ich habe eine Tochter. Sie heißt Claire   … Na ja, sorry, mit dir habe ich zwei. Und ich bin natürlich alleinstehend«, fuhr Lisa fort und blickte durch das Fenster auf das trostlose Stadtpanorama.
    »Oh, Claire ist wirklich niedlich«, sagte Rachel mit einem Blick auf das Mädchen, das jetzt halb auf den Rechnungen und den Papieren lag und noch immer lächelte. Sie benahm sich erstaunlich gut.
    Rachel empfand einen Schmerz. Traurigkeit?

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