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Ein Tag wie ein Leben: Vom Krieg (German Edition)

Ein Tag wie ein Leben: Vom Krieg (German Edition)

Titel: Ein Tag wie ein Leben: Vom Krieg (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arkadi Babtschenko
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lediglich Jamadajews persönliche Bande sei. Jetzt ist es gewissermaßen eine vollwertige Unterabteilung der GRU . Schnee hat es schwer im Bataillon. Chef oder nicht Chef, aus Moskau oder nicht, Berater oder kein Berater – hier basiert alles nur auf der persönlichen Autorität. Schnee muss diese Autorität erst noch erringen. Im Dorf bewegte er sich aufrecht, bückte sich nicht unter dem Feuer und warf sich nicht hin. Einen Gefangenen verhörte er ebenso – aufrecht stehend. Und der sagte aus.
    Schnees Gruppe zog als erste in Zemo-Nikosi ein. Und kam als letzte wieder raus. Und holte die Infanterie nach – ungefähr einen Zug.
    Im Fahrzeug ist es dunkel. Niemand knipst eine Taschenlampe an. Der Junge wühlt in seinem Rucksack, versucht seine zu finden. Und fängt plötzlich an zu reden.
    «Ich war bei Sulim Zugkommandeur. Meinem Befehl unterstanden vierundfünfzig Mann. Als die Reibereien mit Kadyrow begannen, liefen einundfünfzig Mann sofort zu ihm über. Ich blieb mit dreien zurück. Man versprach mir einen neuen Lada  2110 und einhunderttausend Kröten dafür, dass ich ebenfalls überwechsle. Ich lehnte ab. Da holten sie meine Frau. Dann holten sie mich. Hielten mich zwei Wochen lang fest. Brachten mich irgendwohin. Führten mich in einen Hof. Dort lagen auf einem Tisch schon die Instrumente ausgebreitet. Handschellen, Knüppel. So ein mit Nägeln gespickter Schlagstock. Sie wollten von mir wissen, wohin ich für Sulim die Leichen gebracht hätte. Ich weiß von keinen Leichen. Dann stecken wir dir gleich diesen Knüppel in den Arsch. Macht ruhig, ich weiß von keinen Leichen. Sie schnallten mich mit den Handschellen fest und schlugen mich mit dem Knüppel. Auf die Nieren. Dann ließen sie mich laufen und gaben mir einen Tag, um wiederzukommen und ihnen den Ort zu zeigen. Es gelang mir, meine Frau zu befreien, ein Onkel von ihr arbeitet bei der OMON . Ich brachte sie nach Dagestan und versteckte sie. Ich selbst lebe jetzt auf der Basis in Gudermes, gehe nie raus. Ich bin Waisenkind, habe keinen Clan. Die Adresse meiner Frau haben sie trotzdem rausbekommen. Haben sie gezwungen, schriftlich auf eine Anzeige zu verzichten. Das habe ich auch getan. So ist das mal …»
    Er redete lange, erzählte in allen Einzelheiten. Wir saßen da, hörten mit offenem Mund zu. Als wir aus dem Fahrzeug sprangen, konnte ich nur noch fragen: «Und wie heißt du?»
    «Issa.»
    ***
    Mitten in der Nacht beginnen die Gefangenen zu brüllen. Man hat ihnen die Hände zu straff gefesselt, das tut höllisch weh, und sie halten es nicht mehr aus. Tatsächlich, wenn die Blutzufuhr zu lange unterbrochen wird, kann das eine Gangrän mit sich bringen. Jemand von den Tschetschenen sagt, sie sollen die Schnauze halten. Andrej Kuz’minov geht hin und nimmt ihnen die Fesseln ab – sie kommen sowieso nicht weg, die Wache mit der MP sitzt gleich daneben. Die Gefangenen fangen lauthals an zu stöhnen, reiben die Hände im Gras – die Handgelenke sind taub. Dazu die Kälte. Andrej gibt ihnen seinen Pullover und eine Schachtel Zigaretten. Eine improvisierte Verhörkomödie beginnt, geführt von Andrej. Er redet mit ihnen wie mit Kindern, baut es aber geschickt auf. Ich schalte das Diktiergerät ein:
    «Wann bist du Reservist geworden? Wann haben sie dir diese Marken gegeben?»
    «Ich weiß, die Marken, ja …»
    «Wer hat sie dir gegeben?»
    «Saakaschwili …»
    «Was, Saakaschwili persönlich ist gekommen?»
    «Ich bin schlecht Russisch.»
    «Gleich werde ich dich den Tschetschenen übergeben, dann sprichst du nicht nur Russisch, sondern Tschetschenisch, Kerlchen. Willst du das? Vielleicht reden wir lieber endlich Russisch.»
    «Ich bin kein Reservist.»
    «Wie heißt du?»
    «Sasa.»
    «Und er?»
    «Tamas.»
    «Sasa, frag jetzt mal den Tamas. Ist er Reservist?»
    Sie reden Georgisch.
    «Was sagt er?»
    «Er kann nicht sprechen Russisch.»
    «Na, dann soll er Georgisch sprechen, und du übersetzt.»
    «Wenn du Reservist nicht gehen, du vier Jahre von Saakaschwili. Gefangenis.»
    «Und was sollt ihr machen? Was ist euer Befehl?»
    «Befehl wer gegeben? Er. Saakaschwili.»
    «Er selbst? Oder kam ein georgischer Offizier, wahrscheinlich, oder?»
    «Ja, ja.»
    «Wo ist er, dieser georgische Offizier, Sasa? Wann ist er gekommen?»
    «Letztes Jahr.»
    «Seit letztem Jahr seid ihr Reservisten?»
    «Ja.»
    «Und Waffen hat man euch gegeben?»
    «Ja.»
    «Und wo sind eure Waffen, Jungs?»
    «Dort gelassen. Nicht zu Hause, dort. Wo er war. Der

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