Ein Tag wie ein Leben: Vom Krieg (German Edition)
Offizier.»
«Und der Offizier lebt wo?»
«In der Stadt.»
«Und wie heißt diese Stadt?»
«Na, diese … Gori oder so. Terani (
unverständlich
) … Dort ist er geblieben. Er war, ich war kein Reservist.»
«Und die Panzer sind wo, Sasa?»
Sie sprechen Georgisch.
«Er sagt, es gab keine Panzer.»
«Keine Panzer? Und was war heute, haben sie da mit Erbsen aus Blasrohren auf uns geschossen? Was hattet ihr für einen Befehl?»
«Nu, wie Baubataillon, solche Armee ungefähr.»
«Und was habt ihr gebaut?»
«Nu, so gearbeitet, Spaten.»
«Schützengräben ausgehoben?»
«Graben, ja.»
«Und wo habt ihr gegraben?»
«Weiß nicht. Er ist Reservist. Eine Woche war er. Und zurück. Sagen, dass nicht in amerikanischer Uniform. Niemand kommt in dieses Dorf.»
«Nein, Kinder … Ihr wollt einfach nicht reden. Hör zu, Sasa, wir rücken morgen vor, ja?»
«Ja.»
«Und du glaubst, du kannst hier bleiben? Dich im Kamaz wund liegen?»
«Ja.»
«Nein, mein Lieber. Du gehst als Erster. Unsere Soldaten werden morgen stürmen, und du gehst als Allererster. Auf dem ersten Panzer. Ihr werdet unsere Führer sein. Wir schnallen dich vorn auf einen Schützenpanzer, dich und Tamas, und eure Leute werden euch als Erstes in Brand setzen. Hast du gesehen, wie heute der Panzer gebrannt hat?»
«Ja.»
«Morgen wirst du in genau so einem Panzer brennen. Bis zum Tageslicht sind es noch ein paar Stunden, ein paar Stunden habt ihr noch zu leben. Willst du das?»
«Ja, ja!»
«Wirklich?»
«Ja! Ich will!»
«Also, morgen geht’s los.»
Versteht sich von selbst, dass niemand irgendwo festgebunden wird. Ich stelle mir vor, was für ein Bild das für die ganze Welt gäbe: Russen rücken hinter einem Schutzschild aus Geiseln vor – friedlichen Bewohnern. Den ganzen Tag mit gefesselten Händen bei dreißig Grad Hitze in einer Autokarosserie rumzuliegen ist da noch ein Zuckerlecken.
Die Komödie beginnt von neuem: «Also jetzt, wo sind die Panzer, Sasa?» – «Spaten hat Saakaschwili gegeben.» Alle gackern halblaut. Wenigstens eine Art Unterhaltung. Aber mir reicht es jetzt: «Gibt es Waffen im Dorf?»
«Ja.»
«Was für welche?»
«Maschinengewehre, Granatwerfer, Maschinenpistolen.»
«Wie viele?»
«Bei den Reservisten.»
«Werden sie morgen wieder schießen?»
«Ja.»
«Wo sind die Feuerpunkte? Wo die Gräben?»
«Keine Gräben. Dort sind Bäume. Auf den Bäumen sind diese … haben sie gestanden. Die Siedlung.»
«Von wo aus haben sie geschossen?»
«Siedlung.»
«Wie viele Reservisten?»
«Dreihundert.»
«Und alle haben Waffen?»
«Ja.»
«Mir scheint, du lügst.»
«Siedlung. Auf die Bäume. Dort.»
Das ergibt überhaupt keinen Sinn. Schnee haben sie sowieso schon alles gesagt, was sie wussten – und das war, angeblich, so gut wie nichts –, mehr kriegt man nicht aus ihnen heraus. Und Schnee wird seine Informationen nicht teilen. Er ist insgesamt sehr zurückhaltend gegenüber der Presse.
Ich will trotzdem versuchen zu schlafen. Ich höre, wie die Gefangenen wieder gefesselt werden.
«Nicht zu fest?»
«Nein.»
«Wirklich in Ordnung? Pass auf, sonst verlierst du deine Hände.»
«Ist gut so.»
Tamas ist so mutig geworden, dass er sogar um Wodka bittet – offenbar hat er einen höllischen Kater. Ob er völlig durchgedreht sei, antwortet man ihm. Du lebst, niemand schiebt dir Nadeln unter die Fingernägel, du hast Zigaretten bekommen, einen Pullover, also sitz ruhig und muck nicht auf. Eure Leute haben heute den ganzen Tag auf uns geballert. Und morgen werden sie es wieder tun.
Dreihundert Reservisten mit Granatwerfern. Immer- hin …
***
Die Panzer werden die ganze Nacht hindurch zusammengezogen. Und gegen Morgen setzen sie sich in Bewegung. Zuckendes Scheinwerferlicht kriecht die Straße entlang zur Kreuzung und auf die Brücke. Und auf der Brücke steht irgendein Schweinehund und winkt ihnen mit der Taschenlampe. Verfluchte Reservisten! So eine Sauerei haben sie sich ausgedacht!
Ich springe auf und laufe, irgendwohin. Die Jamadajew-Leute kommen mir entgegengerannt. Ich mache kehrt und laufe ihnen hinterher. Irgendjemand wirft sich zu Boden und nimmt die Verteidigungsposition ein. Mit der Maschinenpistole. Ich laufe zurück. Die Brownsche Bewegung nimmt zu. Waffen sind nicht vorhanden. An die Panzerfahrer scheint niemand zu denken. Hinter der Straße stehen vermutlich schon die Reservisten mit ihren Granatwerfern.
Der erste Panzer lässt seine Motoren und Raupenketten aufheulen
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