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Ein Tag wie ein Leben: Vom Krieg (German Edition)

Ein Tag wie ein Leben: Vom Krieg (German Edition)

Titel: Ein Tag wie ein Leben: Vom Krieg (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arkadi Babtschenko
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Ellbogen voller Blut. Ob ich ihnen damit Mut mache?
    Gleich hinter uns fangen sie an, die Verwundeten aus der Schlacht zu holen. Sechs Mann werden auf einem Schützenpanzer gebracht. Alle von der Infanterie. Fast alles Rekruten. Einer verbrannt. Sie nennen ihre Namen – Gefreiter Sawelin aus Rjazan ist der Erste. Er bittet um eine Zigarette und etwas zu trinken. Ich zünde eine Zigarette an und setze sie ihm zwischen die Lippen. Mit Wasser ist es schwieriger. Der zweite hat einen schmalen Schlitz von sieben Zentimetern Länge an der Hand. Arterie durchschnitten. Dickes Blut quillt hervor. So ein Geruch in der Luft … wie von frisch geschlachtetem Vieh, wie im Fleischerladen. Der dritte wird getragen – Beine durchschossen. Der vierte … Den vierten hat ein ordentlicher Splitter in die Brust getroffen, er hat das Gewebe zerschnitten und hätte fast die Lunge erreicht. Ein großes, klaffendes Loch. Rotes Fleisch. Aber der Junge geht aus eigener Kraft – noch unter Schock –, und die Lunge ist, so scheint es, unversehrt. Glück gehabt.
    Man legt die Verwundeten an den Raupen ab. Schneidet, verbindet, spritzt, legt Schnürverbände an. Dunkles Blut sickert in den Staub.
    Ich fotografiere. Der Apparat ist von Tereks Blut befleckt.
    Ein seltsamer Krieg. Ich, ein Russe, Veteran beider tschetschenischen Feldzüge, in Georgien, in Südossetien, in einem georgischen Dorf, hole den Kommandeur einer tschetschenischen Spezialeinheit, Offizier der russischen Aufklärung, aus georgischem Panzerfeuer. Wenn mir das 1999 jemand prophezeit hätte.
    Terek ist schon neu verbunden, hat Schmerzmittel gespritzt bekommen. Ich gehe zu ihm: «Na?»
    Er lächelt selig: «Alles okay. Tut weh.»
    Promedol macht froh. Ich klopfe ihm auf den Arm. «Und Wein haben wir jetzt doch nicht getrunken. Tut mir leid, dass es so gekommen ist.»
    «Macht nichts. Alles okay. In Moskau holen wir das nach …»
    An der Kreuzung ist es schon ruhig. Der Kampf ist beendet. Man sieht keinen einzigen Menschen. Keine Bewegung. Die Panzer schweigen. Die Selbstfahrlafetten schweigen. Die Siedlung ist wie ausgestorben. Wer ist dort? Unsere Leute, die Georgier?
    «Wir müssen zurück, Tocha, hier haben wir nichts verloren.»
    «Dann los», stimmt er gern zu. Ein Pfundskerl.
    Unterwegs nehmen wir Jurij Kotenok vom
Roten Stern
auf. Er ist sichtlich nervös.
    «Arkascha, wir beide fahren gerade in die größte Scheiße …»
    «Ich weiß. Pass auf, wir lassen den Motorschlitten hier stehen und gehen zu Fuß. Wenn die Luft rein ist, rufen wir ihn. Verstanden, Tocha?»
    Vor uns wird Staub aufgewirbelt. Aus dem Dorf kommt etwas angefahren. Auf Raupenketten. Staubt direkt auf uns zu. Auf der Panzerung haben wir nichts als zwei Muchas.
    «Jurij, ich bin ein Kind des Lichts, ich kann keine Waffe mehr in die Hand nehmen …»
    «Bist du gläubig, oder was?»
    «Nein. Journalist.»
    Jurij guckt verständnislos. «Dann gib her. Ich mach es. Wie funktioniert so was?»
    Wie es funktioniert? Ja, weiß der Teufel, wie so was funktioniert. Das Raupentier ist schon ziemlich nah. Hat es durch die georgischen Kasernen geschafft, ohne beschossen zu werden. Wir müssen zum Graben laufen. Ob man mit einer Selbstfahrlafette einen Panzer abschießen kann?
    «Also, wie funktioniert eine Mucha?»
    «Eine Mucha? Ah, eine Mucha! Also, du ziehst den Keil raus, hebst die Latte, wenn du höher richtest, hebst du sie an, wenn nicht, drückst du so ab. Hauptsache, du verwechselst die Schussrichtung nicht, hier ist der Pfeil. Und jetzt, los zum Fahrzeug! Tocha, als Erstes werden sie die Motorschlitten in Brand schießen. Pass auf, dass du nichts abkriegst. Lauf zwanzig Meter zur Seite und wirf dich zu Boden.»
    Wir kommen nicht mehr dazu wegzulaufen. Aus dem Staub taucht ein Schützenpanzer mit Infanteristen an Bord auf. Es sind unsere Leute – man erkennt sie an den schmuddeligen Fressen. Sie halten an. Irgendein Offizier.
    «Das Dorf ist noch nicht eingenommen. Wir ziehen uns zurück. Wohin wollt ihr? Sagt euren Leuten, in zehn Minuten setzt die Artillerie ein – ich bin auf dem Weg zu den Selbstfahrlafetten, für die Zielkorrektur.»
    Das Bataillon zieht sich zurück. Führt zwei zerknitterte Kerle mit sich. Kriegsgefangene. Georgische Reservisten. Einem von ihnen ist durch einen Schlag mit dem Gewehrkolben über dem Auge ein faustgroßer Bluterguss gewachsen, eine wilde Geschwulst.
    Wie sich herausstellt, heißt das Dorf Zemo-Nikosi. Dort sind noch Infanterie und Korrespondenten –

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