Ein Tag wie ein Leben: Vom Krieg (German Edition)
erschießt sie automatisch. Dann stellt sich heraus, das waren Halbwüchsige, die die Gewehre einfach nur gefunden haben.»
«Wirst du nicht verrückt, wenn du daran denkst, dass du in einem fremden Krieg …»
«Kürzlich ist mein Sohn schwer erkrankt, da hab ich mich gefragt: Vielleicht ist das die Strafe? Wenn man älter wird, geht man nicht mehr so gern raus. Aber verbittern darfst du nicht. Der Mensch ist die Gesamtheit seiner Nerven, sein Verhalten wird vor allem von der Psyche gesteuert. Und wenn du sie steuerst, kannst du viel schaffen. Am Anfang muss die Motivation da sein, in eine Situation reinzugehen, danach die Motivation, wieder rauszukommen. Du musst ins Wasser gehen, aber auch wieder rauskommen können. Wenn du nicht schwimmen lernst, gehst du nur einmal rein. Ausrasten tun die Leute, die nicht richtig vorbereitet worden sind.»
«In der Welt gilt heute Amerika als der Aggressor im Irak.»
«Ein Märchen. Was waren wir denn in Afghanistan? Das Gleiche wie in Tschetschenien. Auch dort wurden ganze Dörfer im Vorbeifahren weggefegt, einfach so. Die Ulman-Gruppe – waren die Opfer friedliche Menschen oder nicht, wer will das noch feststellen? Am einfachsten war es natürlich im Großen Vaterländischen Krieg. Schwarz und Weiß. Heute haben die Balten ihre Version der Geschichte und wir unsere.»
«Hast es dich nicht gereizt, in Tschetschenien zu kämpfen?»
«Ehrlich gesagt habe ich diesen Krieg nicht verstanden. Im Nahen Osten sind mir viele Tschetschenen über den Weg gelaufen. In einem Kommando war ein Junge aus Grozny, Maga. Wir haben uns angefreundet, sein Bruder hatte in Afghanistan gekämpft, in Logar, wir waren zur selben Zeit an denselben Operationen beteiligt. Wir redeten uns mit ‹Batscha› an. Aber nimm einen unserer Soldaten aus der Zeit, und er ist für diesen Tschetschenen ein Feind. Im Irak haben wir es mit tschetschenischen Kämpfern zu tun gehabt und auf sie geschossen. Die haben ihre Wahrheit, wir unsere. Früher oder später kommt es zum Zwist.»
«Der Begriff Kriegsmensch, trifft der auf dich zu?»
«Ja, vielleicht … Ich weiß es nicht. Jetzt bin ich ja ins bürgerliche Leben eingetaucht, betreibe mein Business – das andere ist in den Hintergrund getreten. Gar nicht mal in den Hintergrund, es ist einfach eine Entscheidung – ich würde schon gern noch fahren, aber mein Familienleben aufs Spiel setzen, wieder alles kaputt machen, das möchte ich nicht.»
«Beim Dritten Weltkrieg wird alles klar sein. Und wenn Russland mit seinen Truppen ein Drittland besetzt, sagen wir ein völlig fremdes, wie Bangladesch?»
«Dann fahre ich hin, das ist doch klar. Wenn ein großes Land wirklich den Anspruch hat, ein großes Land zu sein, dann braucht es eine eigene Geopolitik. Es muss seine Interessen in Lateinamerika, in Afrika und erst recht im Nahen Osten verteidigen. Das Potenzial ist da. Und viele Menschen sind bereit, diese Interessen zu sichern. Unser Land muss verteidigt werden, um jeden Preis.»
Der Militär
Es ist nicht einfach, Anatolij Lebedj zum Reden zu bringen. Er äußert sich nur einsilbig. Auf die Frage, wie er in Afghanistan gelebt hat, antwortet er mit zwei Wörtern: «Sind geflogen.» Nicht sehr groß, muskulös, kahlgeschorener Kopf und geschniegelter Bart, schwarzer Mazda- 6 . Entspannt, nicht hektisch, mit feinem Humor. Man könnte ihn für den Top-Manager einer erfolgreichen Firma halten, wenn man seine Vergangenheit nicht kennen würde.
Dreifach ausgezeichnet mit dem Roten Stern – schon das ist kaum zu glauben. Zweimal mit dem Tapferkeitsorden. Held der Russischen Föderation. Angehöriger der Luftlandetruppen. Dann Hubschrauberpilot in Afghanistan. Dann Freiwilliger in Dagestan. Heute dient er in einem Sondereinsatzkommando. Aus seinen Tschetschenien-Einsätzen kommt er gar nicht mehr raus.
Ich treffe ihn auf dem Flugplatz in Kirzhach, wo Anatolij mit seinen Kämpfern übt. Neunhundert Sprünge hat er auf dem Konto. Das Erstaunlichste aber ist, wie Lebedj in den letzten drei Jahren gesprungen und durch die Berge gegangen ist – nämlich auf einem Bein. 2003 ist er auf eine Mine geraten.
«Wie bist du von den Fliegern zum Sonderkommando gekommen?»
«Hubschrauberpilot bin ich geworden, weil ich alle Ebenen ausprobieren wollte. Der Himmel hat mich gereizt, das Fliegen. 1987 bin ich nach Afghanistan gekommen. Dort blieb ich fast zwei Jahre, erst fünf Tage vor dem offiziellen Abzug ging ich raus. Das waren die besten Jahre in der Armee. Wir
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