Ein Tag wie ein Leben: Vom Krieg (German Edition)
Drehbücher. Bisweilen wartet es mit Stoffen auf, die sich der größte Phantast nicht ausdenken könnte. Heute könnte man Mal’sagows Schicksal als ein gewöhnliches bezeichnen.
Als Sohn des Kommandeurs einer Artilleriedivision absolvierte Mal’sagow das Kadettenkorps in Woronesch und wurde Offizier der russischen Armee. Im Ersten Weltkrieg kämpfte er im Inguschetischen Kavallerieregiment. Sein Frontaufenthalt war nicht von langer Dauer – nach einem Monat wurde Mal’sagow verwundet und kam ins Lazarett. Für «herausragende Leistungen im Kampf gegen die Deutschen» erhielt er den «St.-Stanislaw-Orden dritten Grades mit Schwertern und Band».
Mit dem Zerfall des Imperiums wurde Mal’sagow aus den Streitkräften entlassen und in die Heimat geschickt – nach Inguschetien, wo gerade der Bürgerkrieg tobte. Die Inguschen bildeten die Grundlage, den harten Kern der Zarenarmee, und Mal’sagow blieb seinem Eid treu. Er trat in die Kaukasische Armee ein und kämpfte gegen die Bolschewiken. Dann zog sich die Denikin-Armee kämpfend zurück; ohne ihre Unterstützung konnten die Gebirgseinheiten keinen angemessenen Widerstand leisten.
«Die Katastrophe der Freiwilligen-Armee zwang uns alle, Zuflucht in den Bergen zu suchen», schreibt Mal’sagow in seinen Erinnerungen. «Trotz unserer geringen Zahl konnten wir auch manche Siege im Gefecht erringen. Schon begannen wir große Operationen zu erwägen, da brach der denkwürdige Aufstand in Georgien aus, und wir verloren die Unterstützung, mit der wir gerechnet hatten.»
Die weißgardistische Bewegung in Georgien stand unter der Führung von Oberst Tschelokajew. Die transkaukasische Tscheka bot ihm wiederholt eine riesige Summe Gold an, den Kauf jeder beliebigen Villa in jedem beliebigen Land Europas, wenn er nur den Kaukasus verlasse, doch Tschelokajew lehnte jedes Mal ab. Da nahmen die Tschekisten seine Familie als Geiseln. Tschelokajew wiederum nahm einige bedeutende Vertreter der Sowjetmacht gefangen und schickte dem Vorsitzenden der georgischen Tscheka einen Brief: «Ich schicke euch je vierzig Kommunistenköpfe in einem Sack für jedes Mitglied meiner Familie, das ihr umgebracht habt. Oberst Tschelokajew.»
1922 , zum fünften Jahrestag der Revolution, verkündeten die Bolschewiki eine vollständige Amnestie für alle Kämpfer, die die Waffen niederlegten. Die weißgardistische Bewegung war damals schon endgültig zum Scheitern verurteilt. Mal’sagow entschloss sich zur Aufgabe.
«Bis heute kann ich mir nicht verzeihen, dass ich, der den Wert bolschewistischer Versprechen besser kannte als andere, an den guten Willen dieser Leute geglaubt habe. Im April 1923 stellte ich mich selbst den Tscheka-Offizieren in Batum. Mich verhörte ein bemerkenswert junger Ermittler. Als der Tschekist meine Verbrechen aufzählte (zugegebenermaßen ziemlich detailliert), stellte er mit einem Lächeln fest: ‹Mit Leuten wie dir gehen wir nicht zimperlich um.› Und das taten sie wirklich nicht. Als ich mich auf die Amnestie berief, brüllte der Ermittler vor Lachen: ‹Führt ihn in die Zelle, da sollen sie ihm die Amnestie zeigen!› Und das taten sie auch.
[…] Die Henker liefen immer betrunken herum. Das waren professionelle Fleischer. Die Ähnlichkeit mit letzteren wurde noch durch die Gewohnheit, die Ärmel der Kittel hochzukrempeln, verstärkt. […] Das ununterbrochene Blutvergießen war eine Qual nicht nur für die Untersuchungshäftlinge, sondern auch für die Bewohner der Stadt. Die Bevölkerung verließ allmählich ihre Häuser, weil sie die durchdringenden Schreie und das Stöhnen der Opfer nicht mehr ertragen konnte. Die Straßen rings um Metechi etwa waren lange Zeit unbewohnbar. […] In Metechi selbst wurden wehrlose Menschen systematisch gefoltert – ich sah viele Alte, Frauen und Kinder. Einmal in der Woche stellte eine Sonderkommission eine Opferliste zusammen, ohne besonders nach Schuld oder Unschuld zu fragen. Donnerstagnachts wurden sechzig bis hundert Menschen erschossen. Diese Nächte waren die Hölle. Jeder rechnete mit seinem Tod. Viele hielten es nicht aus und verloren den Verstand oder begingen Selbstmord.»
Sieben Monate nach der Verhaftung wird Mal’sagow aufgrund von Artikel 66 – «konterrevolutionäre Tätigkeit» – verurteilt und auf die Solowki-Inseln verbannt. Zu der Zeit war die dortige Klosteranlage schon ein regelrechtes Konzentrationslager, dessen Hauptziel es war, Menschen zu vernichten. Hier bekam Mal’sagow die
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