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Ein Teelöffel Land und Meer

Ein Teelöffel Land und Meer

Titel: Ein Teelöffel Land und Meer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dina Nayeri
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den zahlreichen Autos der Zuschauer aufgewühlt worden ist.
    Beide haben sie dunkle Tschadors angezogen, und Ponneh trägt trotz der Wärme noch eine zweite Schicht. Sie nehmen jede eine Kamera und klemmen sie sich unter den Arm. Sie lassen ihre weiten Umhänge vom Wind aufblähen, sodass sie ausladend und formlos erscheinen – fähig, viele Geheimnisse zu verbergen, ohne Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Ponneh hat eine gewöhnliche Fotokamera dabei, und Saba trägt eine Videokamera, nachdem sie endlich herausgefunden hat, wie man sie bedient. Sie umklammert sie mit der rechten Hand, während ihre linke den Stoff des Tschadors vor ihrem Hals zusammenhält. Nur für eine Sekunde lässt Ponneh die Falten los und nimmt Sabas Hand. Sie will gerade etwas sagen, als ein verdreckter grüner Paykan wütend an ihnen vorbeischlingert und ihre Kleidung mit Schlamm und Schmutzwasser bespritzt.
    Der Paykan hält jäh an, blockiert ihren Weg auf den Platz. Saba, die in zu viel schweren Stoff gehüllt ist, springt zurück und packt die Kamera fester. Ponneh dagegen macht keinen Versuch zu verbergen, was sie da unter ihrem Gewand hat. Sie kennt das Auto, das Reza sich mit seinem Bruder und einem Freund teilt. Sie tritt zur Seite, als Reza herausspringt und die Tür so fest zuknallt, dass sie fast aus den Angeln fliegt.
    »
Toro khoda
, was wird das?«, schreit er. »Was zum Teufel macht ihr beide hier?«
    Einige Passanten mustern den jungen, glatt rasierten Mann mit dunklen Augen und gehen dann weiter. »Was machst
du
hier?«, will Ponneh wissen. »Woher weißt du überhaupt –«
    »Ich hab Farnaz’ Namen in der Zeitung gesehen. Keiner wusste, wo du bist. Und da schau her, ich hatte recht. Du bist hergekommen, um selbst ins Feuer zu springen.« Um sie zu beschämen, fügt er hinzu: »Sehr schlau, Khanom.«
    Saba atmet aus, erleichtert über die Möglichkeit, dass Reza Ponneh davon abbringen könnte.
    »Also, ich bring euch beide jetzt nach Hause, ehe hier jemand eingesperrt oder ausgepeitscht wird … oder noch viel schlimmer.« Seine Augen huschen an Ponneh vorbei, als er die letzten Worte murmelt. Dann blickt er auf die Kamera.
    »Ich bleibe.« Ponneh drängt sich an ihm vorbei. »Du weißt, warum. Gehen wir. Es ist Zeit.«
    Reza eilt ihr nach. »Ponneh, bitte. Wenn sie dich erwischen … mit einer
Kamera

    »Da ist doch nichts dabei!« Ponneh geht weiter. »Die Leute machen doch andauernd Fotos.«
    »Aber nicht so, nicht mit den großen Kameras.« Er folgt ihr, immer ein oder zwei Schritte hinter ihr. Das ist eine Angewohnheit, die sie in der Pubertät entwickelt haben, als es gefährlich wurde, in der Öffentlichkeit nebeneinanderzugehen. »Du machst dich verdächtig. Kein Mensch kennt dich hier. Ihr seid zwei fremde Frauen und allein unterwegs.«
    Saba wartet Ponnehs Antwort nicht ab. Vielleicht ist es am sichersten, Ponneh bei dieser Sache beizustehen und dann so schnell wie möglich zu verschwinden. Es hat keinen Sinn, eine Szene zu machen. »Wir kommen schon klar, Reza-dschan. Es ist ein öffentliches Ereignis. Das einzig Gefährliche dabei ist, mit dir gesehen zu werden.«
    Ponneh schiebt die Kamera tiefer in ihre Kleidung.
    Die Furchen in Rezas Stirn vertiefen sich. Er legt beide Hände auf den Kopf und verschränkt die Finger, wie ein nervöser Spieler, der darauf wartet, dass sein Mannschaftskamerad ein Tor schießt. Er geht neben seinem Paykan auf und ab, blickt Richtung Platz und sucht ihn nach Sittenpolizisten ab. »Okay«, sagt er. »Okay, wir machen das anders. Du gibst mir die Kamera, und ich erledige das für dich.«
    »Nein, nein«, sagt Ponneh. »Sie ist
meine
Freundin. Ich mach das.«
    »Um Gottes willen, Ponneh«, sagt er, »lass mich dir doch helfen.« Er holt tief Luft und flüstert: »Auch wenn ich ein Mann bin, bin ich immer noch dein Freund.« Er wartet einen Moment, bis Ponneh die Tränen kommen. »Saba, gib mir deine Kamera.« Er ringt sich ein Lächeln ab und streckt die Hand aus. Sein Gesicht ist ganz verhärmt vor Sorge, hat nichts mehr mit dem Haschisch rauchenden Jungen zu tun, den sie einst kannte, dem fußballverrückten Jugendlichen, der seiner Mutter gehorcht und in der Vorratskammer Alkohol trinkt und sich überlegt, welches Mädchen er wohl heute mit seiner flatterhaften Liebe quälen will.
    »Danke, aber ich komme klar«, entgegnet Saba und denkt, dass sie sich tatsächlich sicherer fühlen würde, wenn er bei ihnen wäre. »Ich kann dir ja wohl kaum hier vor aller Augen zeigen,

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