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Ein Teelöffel Land und Meer

Ein Teelöffel Land und Meer

Titel: Ein Teelöffel Land und Meer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dina Nayeri
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Vertrag, den ihr Vater ausgehandelt hat, sondern ihren eigenen Plänen und ihrer Geduld. Diese Tatsachen werden Saba klar, und so nimmt sie den tröstenden Zuspruch der Trauergäste entgegen und wird verwandelt.

Teil 3 Mütter, Väter
    Baby, Grandma understands
    That you really love that man.
    Bill Withers

Kapitel Fünfzehn
    Herbst 1991
    D rei Monate später sitzt Saba mit ihrem Vater im Büro des Mullahs in Rasht. Der Mullah spricht mit Agha Hafezi, während Saba die weichen Konturen seines Gesichts betrachtet. Er hat sanfte Augen, obwohl er sie nicht ansieht und nur gelegentlich in ihre Richtung nickt, während er erklärt, dass Eheverträge noch immer dem Gesetz der Scharia unterliegen. »Wie ich sehe, sind alle Begräbniskosten und Schulden beglichen worden«, sagt er mit Blick auf einen dünnen Papierstapel auf seinem Schreibtisch, »und abgesehen von dieser sehr
informellen
Heiratsvereinbarung hat Agha Abbas kein Testament hinterlassen.«
    Saba hält die Luft an. Das ist lächerlich. Der Vertrag war so präzise und lückenlos, wie er nur sein konnte, und ein Teil des Besitzes und Barvermögens wurde schon auf Sabas Namen überschrieben.
Was, wenn alles vergeblich war? Nein
, denkt sie. Mullah Ali, der ein Experte für Scharia-Recht ist, hat ihrem Vater versichert, dass ihrer Erbschaft nichts im Wege steht.
    »Falls es keine erbberechtigten Nachkommen gibt – und soweit ich weiß, hatte Agha Abbas von früheren Ehefrauen keine Kinder –, steht der Ehefrau automatisch ein Viertel des Besitzes zu. Das ist Gottes Recht. Wir bestreiten nicht, dass Ihre Tochter das verdient.«
    Saba atmet einigermaßen erleichtert aus. Sie spürt, wie ihr Vater neben ihr vor Wut kocht und sich mühsam beherrscht. Sie rutscht unruhig in ihrem kratzigen schwarzen Tschador hin und her.
    »Ja, aber der Vertrag, den wir ausgehandelt haben, ist hieb- und stichfest«, sagt ihr Vater. »Er entspricht islamischem Recht und wurde von Abbas und mir unterschrieben. Im Beisein von Zeugen. Ich bitte Sie, Haddsch Agha, sehen Sie hier noch andere, die irgendwelche Ansprüche geltend machen?«
    Der Mullah hebt die Hand und tut so, als würde er die Geduld verlieren, obwohl er die Bildung und das Ansehen ihres Vaters offensichtlich respektiert. Er redet weiter. »Ihre Kenntnisse der Gesetze stehen nicht zur Debatte. Die Frage ist, ob mögliche Erben von Ihnen übersehen wurden. Es gibt keine weiteren
Haupterben
in diesem Fall, da der Mann keine anderen lebenden Ehefrauen hatte, keine Kinder und so weiter. Aber wir hielten es für unsere Pflicht gegenüber Allah und dem Verstorbenen, nach eventuellen Nebenerben zu forschen. Diese hätten ein Anrecht auf den Rest des Besitzes.«
    »Den
Rest
?«, platzt Saba heraus. Ihr Vater greift nach ihrem Arm und sagt ihr, sie soll still sein. Das scheint den Mullah zufriedenzustellen, der nachsichtig lächelt und mit seiner Rede fortfahren will. Aber Agha Hafezi, der noch immer Sabas Arm festhält, kommt ihm zuvor.
    »Nach Nebenerben zu
forschen
, scheint mir übertrieben. Agha, unsere Familie hat das bereits getan. Ganz zu schweigen davon, dass immer irgendwelche Nebenerben auftauchen, wenn man nach ihnen sucht. Zeigen Sie mir einen toten Mann mit Geld, und ich zeige Ihnen vierzig entfernte arabische Verwandte, die aus dem Nichts auftauchen. Nach wem suchen Sie denn genau?«
    Der Mullah seufzt und rückt seine Brille zurecht, während er in seinen Notizen liest. »Brüder, Schwestern, Neffen, Nichten. Lebende Onkel oder Großeltern können wir ja wohl ausschließen.«
    »Warum?«, flüstert Saba, geschockt, dass so ein kleines, ärmliches Büro mit Plastikstühlen und Rissen im Boden, durch die es zieht, sich die Mühe macht, den ganzen Iran nach möglichen verschollenen Verwandten eines Einsiedlers abzusuchen.
    Der Mullah hebt beide Augenbrauen. »Möchten Sie etwa nicht, dass wir das Richtige tun?«
    »Sind Sie fündig geworden?« Ihr Vater seufzt. Wenn er die Geduld verliert, nimmt seine Stimme einen herablassenden Tonfall an, den er jetzt mühsam beherrscht. Er ringt sich ein Lächeln ab und sagt: »Falls sich niemand gemeldet hat, scheint der Fall ja wohl geklärt.«
    »Ich verstehe Ihr Anliegen ja«, sagt der Mullah. »Aber wir sind auf einen Bruder gestoßen.«
    Ihr Vater schüttelt ungläubig den Kopf. Saba hat sich nicht näher mit Scharia-Recht befasst, aber eines weiß sie: Der Anteil eines Bruders ist sehr viel größer als der einer Ehefrau – ungeachtet der Tatsache, dass sie in Abbas’ Namen

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