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Ein Teelöffel Land und Meer

Ein Teelöffel Land und Meer

Titel: Ein Teelöffel Land und Meer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dina Nayeri
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Turbanbomben.
    Plötzlich kommt er ihr unwahrscheinlich jung vor, und Mahtab fragt sich, warum sie so hart zu ihm war. Sie bestellen sich Drinks, geraten ins Plaudern und stellen rasch fest, dass ehemals bittere Erinnerungen jetzt lustig sind. Bald wird ihnen klar, dass dieses Abendessen ein Meilenstein ist – dass Mahtab ihm noch eine Chance gibt. Er rückt auf ihre Seite des Tisches, und sie teilen sich das Dessert. Er spielt einen Moment mit seinem Löffel, aber Mahtab fühlt sich nicht unwohl. Er kann sehr gut schweigen. Wieso ist ihr das nicht schon früher an ihm aufgefallen? »Es tut mir leid, was passiert ist«, sagt er.
    Sie berührt die weichen blonden Härchen an James’ Unterarm und sagt in dieser lässigen Alles-auf-Anfang-Art der Amerikaner: »Daran denk ich gar nicht mehr.«
    Zwei Wochen nach der Abschlussprüfung heiraten sie heimlich und ziehen gemeinsam nach New York, eine unbedachte Entscheidung, die durch die unselige Kombination von holländischem Bier, einem Whiskey Sour, einem Old Fashioned, einem Sidecar und einem Martini ausgelöst wird. Ja, sie ist leichtsinnig. Das kann sie auch sein, denn amerikanische Scheidungen sind unkompliziert. Und geschiedene Amerikanerinnen gelten als verführerisch und tapfer.
    Folgendes hat sie von ihrer Heirat in Erinnerung: dass sie das unrechte Hermès-Tuch weggeworfen hat. Vergeblich versucht hat, die Kreditkarte wegzuwerfen, weil Joghurtgeld eine klebrige Angelegenheit ist. Dass sie ihren Vater, den sie seit über einem Jahrzehnt nicht mehr gesehen hat, schmerzlich vermisst hat, denn trotz all seiner Bücher und Weisheiten kann Baba Harvard sie nicht zum Altar führen.
    Monate vergehen. Kurz nach der Hochzeit muss sich auch Mahtab mit der Frage der Mutterschaft auseinandersetzen, denn ein Baby mit James ist unabdingbar. Ihr Schwiegervater fängt jeden Tag davon an. Zuerst erwähnte er es beiläufig, witzelte lachend über seine zukünftigen Enkelkinder. Doch in letzter Zeit wird er bei dem Thema immer ernster, nimmt James beiseite und gestikuliert heftig vor seinem Gesicht.
    Ihr wird klar, dass Mutterschaft das Schicksal ist, das sie eines Tages ereilen wird.
    Ein Baby wird deine Kindheit beenden, sagt ihre alte Freundin, die
pari
, die immer auf dem Briefkasten in Kalifornien saß. Es wird dich an diesen Mann binden, diese Stadt.
    Ja, es
könnte
das Ende bedeuten, sagt Mahtabs logisches anderes Ich.
    Es
wird
das Ende bedeuten, keine Frage, sagt eine neue Stimme, eine verbitterte alte Dame mit Mundgeruch und spindeldürren Fingern, von der Mahtab befürchtet, dass das sie selbst sein könnte – eines Tages. Das gealterte wilde Wesen aus ihrem Inneren.
    Nein, ein Baby ist es nicht wert, ihre journalistischen Träume aufzugeben. So viel könnte passieren, wenn ein Kind auf die Welt kommt. Sie könnte sich nicht mehr frei bewegen. Ihre eigene Mutter musste für ihre Töchter ein ganzes Leben opfern, ihre ganze Geschichte. Sie musste eines ihrer Kinder zurücklassen. Was, wenn Mahtab das Kind verlassen muss? Was, wenn
sie
alles opfern muss? Was, wenn Cameron mit Neuigkeiten aus dem Iran zurückkehrt, mit Abenteuern, über die sie in der
New York Times
schreiben kann, und sich die Landschaft ihrer Welt verändert?
    Nein
, denkt sie. Sie wird kein Kind bekommen.
Niemals
. Für niemanden. Sie hat einen Beruf, um den sie sich kümmern muss, sie hat Welten zu entdecken und für die beste Zeitung der Welt zu entschleiern.
    Verstehst du? Mahtab braucht kein Kind oder überhaupt jemanden. Das ist ihre größte Stärke.
    In den Tagen nach der Hochzeit essen Mahtab und James oft bei den Scarrets in Connecticut zu Abend. Das Haus der Scarrets ist irgendwie ungemütlich. Hast du schon mal so ein amerikanisches Haus im Fernsehen gesehen? Ich kann dir genau sagen, wie es aussieht, mit unberührbaren Möbeln und einer Karaffe Scotch, die zwischen der cremefarbenen Couch und dem dunklen Kirschholzflügel bereitsteht. Eines Abends beim Dinner fragt James’ Vater über den Rand seines Whiskeyglases hinweg, ob sie Probleme haben, ein Kind zu zeugen.
    »Wir werden Kinder haben, wenn der richtige Zeitpunkt gekommen ist.« James drückt Mahtabs Hand.
    »Der richtige Zeitpunkt ist
jetzt
«, lallt Mr Scarret. Mahtab wünscht, sie hätte die Autorität, ihm das Glas wegzunehmen und ihn ins Bett zu schicken. »Ich bin fast sechzig.«
    Mahtab spürt, wie ihr Seelenfrieden aus ihr herausströmt, ihren Körper verlässt und die Straße hinunterrennt. Sie beginnt, James’ Vater zu

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