Ein toedlicher Plan
jämmerlicher, bemitleidenswerter Mann. Für mich stellte sich dann bloß noch die Frage, ob ich jemanden wie ihn länger in meinem Leben haben wollte. Ich beantwortete sie mit Ja, und zwar aus verschiedenen Gründen. Mit unserer Ehe waren gewisse Annehmlichkeiten verbunden, und da waren auch noch die Familie und ähnliche Kleinigkeiten.«
Mrs. Clayton sah eine Weile aus dem Fenster. Taylor suchte in ihrem Profil nach Anzeichen von Kummer oder Leid, entdeckte aber keine. Schließlich fuhr sie fort: »Wissen Sie, was mich am meisten bewegt hat? Wendalls Zeilen. Sein Abschiedsbrief. Er hätte schreiben können, was für eine miserable Ehe er führte, und er hätte sich lang und breit über mich beschweren können. Aber das hat er nicht getan. Das war sehr nett von ihm. Ich wusste, dass er unter kaum erträglichem Stress stand, glaubte aber, der rühre hauptsächlich von der Fusion oder seinen Plänen für die neue Kanzlei her …«
»Was für eine neue Kanzlei?«
Mrs. Clayton zögerte erst, dann drückte sie ihre Zigarette aus und sagte: »Ich schätze, es spielt ja doch keine Rolle mehr. Wenn Wendall die Fusion nicht durchbekommen hätte, wäre er von Hubbard, White & Willis weggegangen, hätte seine Jungs und ein paar Dutzend Klienten mitgenommen und seine eigene Kanzlei eröffnet. Das hatte er sich als Alternative zurechtgelegt. Ich glaube, er hat diese Lösung fast der Fusion vorgezogen. Damit sein Name ganz oben stünde, verstehen Sie? Clayton, Jones & Smith oder wer auch immer. Es war ihm stets sehr wichtig, dass sein Name als Erster erschien.«
Das Schweigen, das jetzt eintrat, gemahnte Taylor, sich zu verabschieden. Sie stand auf und sagte: »Ich glaube, ich sollte jetzt gehen. Ich habe Ihre Zeit lange genug in Anspruch genommen.« Taylor streckte die Hand aus, und Mrs. Clayton ergriff sie kurz mit ihren schwachen Fingern, die sich kaum krümmen konnten.
Sie erhob sich ebenfalls und sah auf ihre Uhr. »Ich würde ja gern noch etwas mit Ihnen plaudern«, sagte sie und griff nach ihren Zigaretten. »Aber der Bridgeclub kommt in zehn Minuten zusammen.«
Taylor saß an Wendall Claytons Schreibtisch.
Es war spät am Nachmittag, und gelbbraunes Licht drang von draußen herein. Die Lampen im Büro waren gelöscht, die Tür geschlossen. Absolute Stille herrschte in dem Raum, und doch spürte sie Claytons überwältigende Persönlichkeit ganz genau. Es kam ihr so vor, als ragte sein Geist hinter ihr auf und hätte sich entschlossen, im Moment noch nicht zu ihr zu sprechen.
Sie starrte auf das Gekritzel auf dem Block. Dann wanderte ihr Blick über das Messing, die Teppiche, die Vasen, die bemalte Kachel und den Aktenschrank (der Ordner, in dem sich der Wechsel befunden und hinter dem das Aufzeichnungsgerät gelegen hatte, schaute ein Stück heraus). Der gewaltige Ledersessel knarrte jedes Mal, wenn sie sich darin bewegte.
Männer von untadeligem Charakter …
Theoretisch hatte sie dank Burdicks Großzügigkeit immer noch Urlaub. Sie konnte die Kanzlei verlassen, wann sie wollte, und zu Mitchell gehen. (Sie hatte inzwischen festgestellt, dass er doch kochen konnte; im Moment bereitete er gerade einen Tortellini-Salat zu.) Wie gern hätte sie jetzt in seiner riesigen Badewanne gelegen – ein wunderbares Stück, das auf vier Klauenfüßen stand –, mit einem hochstieligen Glas Wein in der Hand sich vom warmen Wasser verwöhnen lassen und die Düfte von dem genossen, was er in den Salat gab.
Stattdessen saß sie zusammengesunken in Wendalls Sessel, drehte sich langsam mit ihm um die eigene Achse – einmal, zweimal und ein letztes Mal. Sie rührte sich nicht, bis der Sessel sich zu Ende gedreht hatte.
Dann öffnete sie die Schreibtischschublade.
Eine halbe Stunde später ging sie langsam und nachdenklich die Treppe zur Halsted Street hinunter. Sie sah nach, ob sich jemand in den benachbarten Arbeitsbereichen aufhielt, ließ sich dann an ihrem Schreibtisch nieder und drehte sich mit ihrem Sessel, bis sie den Korridor im Auge hatte und so rechtzeitig feststellen konnte, wenn jemand kam. Bei dem Anruf, den sie jetzt zu tätigen beabsichtigte, wollte sie von niemandem gestört werden. Taylor blätterte in ihrem Adressbuch und fand die Nummer von John Silbert Hemming.
Ein riesiger Schreck durchfuhr ihn, als er sie aus Wendall Claytons Büro kommen sah.
Sean Lillick blieb abrupt stehen und trat leise in den dunklen Konferenzraum, in dem er vor ihren Blicken verborgen war. Er hätte sich fast in die Hosen gemacht,
Weitere Kostenlose Bücher