Ein toedlicher Verehrer
Opfer ein pensionierter Richter war, war die Sensation perfekt. Die Ermittler würden unter immensem Druck stehen.
»Wer hat angerufen?«, fragte er, obwohl er es längst wusste.
»Der Butler. Sie ist in dem Zimmer dort.« Der Polizist nickte zu einem Zimmer links von ihnen hin.
Es war ein Frühstückszimmer, so nannte man so etwas wohl, mit direktem Zugang zur Küche. Sie saß am Tisch, ihre Hände umklammerten eine Tasse Kaffee. Bleich und still starrte sie auf die Tischdecke.
Diesmal trug sie keinen Pyjama. Sondern normale Sachen, und sie hatte noch Lippenstift aufgelegt. Er fragte: »Steht Ihr Wagen hinten?«
Sie nickte, ohne aufzusehen. »Er parkt unter dem Vorbau.« Ihre Stimme klang dünn und tonlos.
»Was für eine Marke?«
»Ein TrailBlazer.« Ihre Stimme klang gleichgültig und desinteressiert.
Er ging durch die Küche und trat in den Flur dahinter, von wo aus eine Tür ins Freie führte. Der Geländewagen stand direkt davor. Er legte die Hand auf die Motorhaube; noch warm.
Er kehrte ins Haus zurück und schenkte sich auf dem Weg durch die Küche eine Tasse Kaffee ein. Die Kanne war noch fast voll. So wie es aussah, hatte sie sich Kaffee eingegossen und ihn sofort wieder vergessen, kaum dass sie sich hingesetzt hatte.
Sie saß immer noch genauso da wie vorhin. Er nahm den lauwarmen Kaffee aus ihren nachgiebigen Händen, kippte ihn in den Ausguss und schenkte ihr eine neue Tasse ein.
Er stellte sie ihr hin. »Trinken Sie.«
Gehorsam nahm sie einen Schluck.
Dann setzte er sich rechts von ihr an den Tisch und holte Notizbuch und Stift heraus. »Erzählen Sie mir, was passiert ist.« Es war eine offene Frage, die sie in keine bestimmte Richtung lenken sollte.
»Heute ist Mittwoch«, antwortete sie, immer noch mit diesem dünnen Stimmchen.
»Stimmt.«
»Mittwoch ist mein freier Tag. Ich habe das Übliche gemacht -«
»Und das wäre?«
»Karateunterricht, Kickboxen, Schießanlage.«
»Wann war was?« Sie zählte es auf; er notierte gewissenhaft alle Zeiten und wollte dann wissen, wo sie Karate übte. Er würde alles nachprüfen, um sicherzugehen, dass sie überall dort gewesen war, wo sie gewesen zu sein behauptete. »Und dann?«
»Dann war ich zum Shopping im Summit.«
»Haben Sie was gekauft?«
»Ein paar Anziehsachen bei Parisian’s, ein paar Bücher.«
»Wissen Sie noch die Uhrzeit?«
»Zwischen vier und fünf, tippe ich. Die Uhrzeit müsste auf den Kassenbons stehen.« Sie hatte immer noch nicht aufgesehen, aber sie nahm wenigstens einen zweiten Schluck Kaffee.
»Und dann sind Sie heimgefahren?«
Sie schüttelte kaum sichtbar den Kopf. »Nein, dann war ich noch essen. Im... ich habe den Namen vergessen. Gleich dort im Summit. Dieses italienische Restaurant. Ich hätte gleich heimfahren sollen, so wie sonst auch, aber heute Abend war ich noch im Kino.«
»Wieso hätten Sie gleich heimfahren sollen?«
»Weil ich dann hier gewesen wäre. Und wenn ich hier gewesen wäre, wäre nichts passiert.«
»Welchen Film haben Sie gesehen?«
Diesmal sah sie auf und ihn mit leerem Blick an. »Ich weiß nicht mehr.« Sie wühlte in ihrer Hosentasche und zog eine halbe Kinokarte heraus. »Den hier.«
Er notierte den Titel des Filmes und die Uhrzeit. »Den wollte ich mir auch ansehen. War er gut?« Er fragte ganz beiläufig, freundlich.
»Nicht schlecht. Ich bin ins Kino gegangen, damit er mich ansprechen kann, falls er mich beobachtet.« »Was?« Diesmal kam er nicht mehr mit. »Wer?«
»Weiß ich doch nicht. Der Mann, der mir den Anhänger geschenkt hat.«
»Ach so, richtig.« Da würde er später noch mal nachhaken. »Wann sind Sie heimgekommen?«
»Kurz vor zehn. Im Schlafzimmer des Richters brannte noch Licht. Normalerweise geht er um zehn ins Bett, aber manchmal sieht er vorher noch die Nachrichten.«
»Hat er einen Fernseher im Schlafzimmer?«
»Nein.« Ihre Lippen bebten. »Er hat immer gesagt, ein Schlafzimmer ist zum Schlafen da.«
»Also hat er wo ferngesehen... ?«
»In der Bibliothek. Wo ich ihn gefunden habe.«
»Gehen wir noch mal ein bisschen zurück. Was haben Sie getan, als Sie nach Hause gekommen sind?« Er nahm einen Schluck Kaffee, und sie tat es ihm nach.
»Erst habe ich kontrolliert, ob alle Türen abgesperrt sind. So wie immer, bevor ich zu Bett gehe. Die Vordertür war es nicht«, sagte sie. »Abgesperrt, meine ich. Das war ungewöhnlich, sonst ist sie immer abgesperrt. Ich konnte den Fernseher hören und habe mich gewundert, warum oben Licht brannte, wenn er
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