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Ein Toter hat kein Konto

Ein Toter hat kein Konto

Titel: Ein Toter hat kein Konto Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Léo Malet
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hier irgendwo einen Spiegel, in dem ich mich bewundern könnte?“
    Das Mädchen führte mich in die Toilette. Aus
einem Wandspiegel trat mir ein reizender Landstreicher entgegen. Wahrscheinlich
hatte ich den Teint eines Fieberkranken von Bercy, doch das wurde unter einer
Schmutzkruste verdeckt. Meine Hände waren auch nicht viel sauberer.
    „Ich müßte mich mal mit einem Lappen ordentlich
abreiben“, bemerkte ich und mußte lachen. In puncto Abreibung hatte ich meinen
Teil nun wirklich abbekommen in dieser Nacht! „Sie gestatten?“
    Ich zog Jackett und Hemd aus. Joëlle
unterdrückte einen Schrei des Entsetzens. Wenn mein Gesicht von einer Schmutzschicht
überzogen war, dann war mein Oberkörper von blauen Flecken bedeckt.
    „Haben Sie keine Angst“, beruhigte ich sie. „Ich
gehöre keiner anderen Rasse als der weißen an! Was Sie hier sehen, sind blaue
Flecken. Blau ist die Farbe der Tuareg. Nun ist es aber so, daß sie abfärben,
die Tuareg. Gehen Sie nie ins Antinéa , Kleine! Man kommt raus wie ein
Roquefort.“
    „Ist das im Antinéa …“
    „...passiert, ja. Araber haben mich ausgeraubt
und durch die Mangel gedreht. Der Nachtclub ist der letzte Ort, an den ich mich
erinnern kann, bevor ich hier wieder aufgewacht bin. Ich verzichte darauf,
irgendwelche Zusammenhänge herzustellen, aus Mitleid mit meinem armen Kopf...“
    „Um Gottes willen! Und das alles wegen „Wegen
einem kleinen Blödmann, der Drogen nimmt und dann stirbt, wegen einem alten
Ausbeuter, der nichts so fürchtet wie Scherereien, und wegen einer jungen
Lügnerin, die genau solche Scherereien zu sammeln scheint wie Briefmarken.“ Ich
ließ das Wasser laufen und nahm eine Grundreinigung an mir vor. Danach hätte
ich mich gerne abgetrocknet; aber es war gar nicht so einfach, zwischen all
dem, was an dem Handtuchhalter hing, etwas zu finden, das trocken war und
abtrocknen konnte. Endlich gelang mir der seltene Fund. Ich rieb mich trocken
und zog wieder meine Klamotten an. Ein erneuter Blick in den Spiegel zeigte mir
eine gespaltene Lippe und eine geschwollene Nase. Die Färbung hätte man auf
übermäßigen Genuß von Rotwein zurückführen können. Ich folgte Joëlle ins
Schlafzimmer.
    „Der schmerzliche Augenblick des Abschieds
naht“, sagte ich. „Ich kann leider nicht ewig lange hierbleiben, um mich mit
Ihnen rumzuzanken. Aber genausowenig kann ich mich in dieser abenteuerlichen
Aufmachung auf die Straße wagen. Haben Sie keinen Mantel, unter dem ich mein
Elend verbergen könnte? ... Und vielleicht müssen Sie ja auch wieder rein
zufällig nach Paris fahren, wie gestern? Diese Gangster haben mir nicht einen
Sou gelassen.“
    „Sie nach Paris fahren? Um mich wieder Ihren
Fragen auszusetzen?“
    „Ich Ihnen Fragen stellen? Dafür bin ich viel zu
müde... und nicht blöd genug.“
    „Einverstanden.“
    Sie schloß die Zimmertür auf und verschwand auf
dem Korridor. Kurz darauf kam sie zurück, über dem Arm einen abgetragenen
Herrentrenchcoat. Er paßte mir. Jetzt ging es darum, unbeobachtet La
Feuilleraie zu verlassen. Ich legte keinen besonderen Wert darauf, aller
Welt mitzuteilen, daß ich einen Teil der Nacht im Schlafzimmer von Joëlle
Flauvigny verbracht hatte. Genausowenig Lust hatte ich, Erklärungen über das
abgeben zu müssen, was ich selbst nicht kapierte. Und schließlich wollte ich
nicht noch mehr Zeit verlieren und mir das Leben nicht noch schwerer machen.
Kurz und gut, ich hatte nur ein einziges Interesse: dem Schlößchen von Gérard
Flauvigny unauffällig den Rücken zuzukehren.
    Joëlle schlug vor, mich in ihrem Kabriolett an
der kleinen Pforte zu erwarten. Ich gab zu bedenken, daß der Butler mich durch
den Park gehen sehen würde. Dann bleibe nur eine Möglichkeit, erwiderte sie:
zusammen in die Garage zu gehen. Man gelange auf der Rückseite des Hauses
dorthin, wobei keine Gefahr bestehe, dem Personal zu begegnen. Die Alberts und
Maries hätten um diese Zeit vorne im Haus zu tun. Mit anderen Worten: ‚Das Ei
des Kolumbus’! Es mußte nur noch gelegt werden...
    Nach ein paar Gehversuchen brachte ich es
fertig, mich fortzubewegen, ohne zu schwanken. Wenn ich erst mal im Auto sitzen
und durch das offene Tor fahren würde, würde mir schon irgendeine Erklärung
einfallen, falls uns jemand über den Kiesweg lief.
    Joëlle zog sich einen durchsichtig-blauen
Regenmantel über, puderte sich ein wenig das Näschen, und dann ging’s los. Wir
schlichen die Treppe hinunter und verließen ohne Zwischenfälle leise das

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