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Ein Toter hat kein Konto

Ein Toter hat kein Konto

Titel: Ein Toter hat kein Konto Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Léo Malet
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seufzend. Dies war das
Haus des Seufzens und des Flüsterns! „Sie werden den Fall sicher bestens zu
Ende bringen. Ist das alles?“
    „Ja, das ist alles.“
    „Nun, dann auf Wiedersehen.“
    Ich verdrückte mich. Albert, der Angst hatte,
daß ich mich verlaufen könnte, begleitete mich bis zum Gartentor. Ich ging nach
rechts. Am Ende der Rue Decomble wartete Joëlle auf mich. Sie war aber nicht
alleine. Ein massiger Kerl stand neben ihrem Wagen und redete mit dem jungen
Mädchen. Er war wohl soeben aus dem Schlitten gestiegen, der nicht weit von dem
Kabriolett parkte und bestimmt nach Maß angefertigt worden war. Ich
verlangsamte meinen Schritt. Mit einem eleganten Lüften seines Hutes
verabschiedete sich der Dicke, stieg wieder in seinen Studebaker und
brauste davon. Verächtlich fuhr er an mir vorbei, erreichte mit ein paar
Radumdrehungen das Tor von La Feuilleraie und hupte.
    Der Mann gefiel mir nicht. Seit meiner
Unterhaltung mit dem honigsüßen Araber im Antinéa widerte mich alles an,
was mehr als einhundert Kilo auf die Waage brachte.
    „Sie Wüstling!“ sagte ich zu Joëlle. „Vor Ihnen
ist aber auch keiner sicher! Ekeln Sie sich nicht vor solchen Fettklößen?“
    „Steigen Sie ein und seien Sie still!“ befahl
sie.
    Gehorsam setzte ich mich neben sie. Neben einem
jungen Mädchen in einem Wagen Platz zu nehmen, war — unter anderem — eine
Spezialität, die diese hügelige Straße für mich bereithielt. Als ich mich an
dieselbe Bewegung vom Vortag erinnerte, wurde mir ganz komisch zumute. Es ging
vorbei.
    „Was war das denn für ein Elefant?“ fragte ich.
    „Das ist kein Elefant, das ist Maître Lenormand,
Papas Anwalt.“
    „Ihr Vater braucht einen Anwalt? Ach ja,
richtig! Seine Geschäfte, natürlich!“
    „Ja, seine Geschäfte. O Gott!“ rief sie
verzweifelt aus.
    Angst stand wieder in ihren Augen.
    „Machen Sie sich keine Sorgen um Ihren Vater“,
beruhigte ich sie. „Der Besuch eines Anwalts ist noch kein Grund zur Aufregung.
Ihr Papa hatte ‘n bißchen Ärger bei der Befreiung, aber das ist vorbei. Jetzt
wird er nicht mehr eingesperrt. Schließlich ist er weder Journalist noch
Schriftsteller...“
    „Ja... Ja... Hat er Ihnen was erzählt?“
    „Nein, ich war es, der die ganze Zeit geredet
hat.“
    „Und wie... wie ist es gegangen?“
    Der Eindruck des schon Gesehenen, schon
Gehörten, schon Erlebten verstärkte sich. Jenes seltsame Gefühl des
Wie-dererkennens, das man angesichts einer vollkommen unbekannten Landschaft
empfindet. War es lediglich der Tatsache zuzuschreiben, daß ich — wie gestern —
mit Joëlle in ihrem Auto über ihre Familie sprach? Oder mußte man es als Folge
dessen ansehen, was ich im Laufe der Nacht erlebt hatte? (Aber was hatte ich
eigentlich erlebt? ...)
    „Gut ist es gegangen“, antwortete ich auf die
Frage des Mädchens. „Ich habe ihm nicht verraten, daß ich schnurstracks aus
Ihrem Schlafzimmer gekommen bin. Hab ihn nur gebeten, wenn nötig zu erklären,
daß wir uns alle schon seit Urzeiten kennen: er, Sie, Ihr Bruder und ich.
Dadurch soll bloß ein Skandal wegen des Unfalltodes Ihres Bruders vermieden
werden. Verstehen Sie?“
    „Ja... und... war es ein Unfall?“
    „Ja.“
    Verstehen Sie? Ja. Dr. Péricat, Joëlle und noch
andere antworteten alle: Ja. Allerdings mit einem Gesichtsausdruck, der das Ja
ihrer Lippen dementierte. Einem Gesichtsausdruck wie nach einem Alptraum. Ich
zuckte die Achseln und wechselte das Thema:
    „Was Albert wohl gedacht hat?“
    „Albert? ... Worüber? ... Ach ja! ... Über uns?
... Ihre Erklärung schien ihn doch überzeugt zu haben, oder?“
    „Ich glaub schon.“
    Die Straße gabelte sich.
    „Den gleichen Weg wie gestern?“ fragte Joëlle.
    „Gestern? Ja, ja...“ Jetzt schwebte ich in den
Wolken. „Wir kommen an einem Café-Tabac vorbei. Wenn ich nämlich nicht binnen
fünf Minuten eine qualmende Pfeife zwischen den Zähnen spüre, sterbe ich.“
    Sie hielt vor einem Café mit Tabakverkauf. Mir
fiel ein, daß ich ohne einen Sou dastand. Gerade wollte ich das Mädchen
anpumpen — Not kennt kein Gebot! — , als ich meinen guten alten Reboul aus dem
Bistro kommen sah. Ich rief ihn an, und er drehte sich zu uns um.
    „Eine Sekunde“, sagte ich zu Joëlle und
krabbelte aus dem Kabriolett. „Ein Kriegskamerad von mir...“
    Ich ging zu meinem einarmigen Mitarbeiter. Er
schien ganz aufgeregt zu sein.
    „Um Himmels willen, Chef!“ rief er und verzog
sein Gesicht. „Hab Sie gar nicht erkannt in der

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