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Ein Toter hat kein Konto

Ein Toter hat kein Konto

Titel: Ein Toter hat kein Konto Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Léo Malet
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worum’s geht. Ich weiß nur, daß wir in der dicksten Tinte sitzen,
die man sich vorstellen kann! Und wenn ich sage: wir alle, dann meine ich uns
alle damit: Sie, Ihren Vater, mich und weiß der Himmel, wen sonst noch. Ihren
Bruder hab ich nicht mitgezählt. Sie wissen schon, warum, oder?“
    „Ja, ich weiß“, brachte sie mühsam hervor. „Er
ist tot und...“
    Sie schwankte. Ihre Finger krallten sich in den
Rock ihres Kostüms. Der Blick, den sie mir zuwarf, sprach Bände; aber ich hatte
keine Zeit, lange darin zu lesen.
    „Sie... Sie auch... Sie...“, stammelte sie.
    Ich wartete auf weitere Sie-Sie-Sie. Als keins
mehr kam, fauchte ich meinerseits:
    „Sie-Sie-Sie! ... Ich auch? Was auch?“
    „Sie sind widerlich!“
    Das wußte ich schon. Ich stand auf und nahm
behutsam ihre Hände.
    „Wovor haben Sie Angst?“ fragte ich.
    „Ich habe keine Angst!“
    Ich ließ ihre Hände wieder los und strich mir
über die Stirn. Die sieben Zwerge hatten ihre Forderungen durchgeboxt und
nahmen die Arbeit wieder auf.
    „Na schön!“ sagte ich resigniert.
    Meine Lenden schmerzten. Schwerfällig ging ich
zum Fenster, immer noch auf Strümpfen. Sex-Appeal verpflichtet! Ich trat mit
dem rechten Fuß auf eine feuchte Stelle im Teppich. Da mein Magen nach wie vor
verdorben war, kapierte ich. Also wirklich, Benehmen ist Glückssache! Entweder
man kann sich in vornehmer Gesellschaft bewegen oder nicht. Ich kann’s nicht.
Ein wenig schämte ich mich.
    In nächster Nähe des Fensters lagen drei
Zigarettenkippen herum. Da hatte wohl jemand den übervollen Aschenbecher
entlasten wollen. Die Kippen waren rot gefärbt (der verräterische rote
Kringel!), und eine von ihnen hatte den Teppich angesengt.
    Ich betrachtete die Landschaft durch die weiße
Musselingardine. Es regnete nicht, aber der Himmel war grau. Ich hatte keine
Ahnung, wie spät es war.
    „Gleich neun“, teilte Joëlle auf Anfrage mit,
wie man im Parlament sagt.
    Irgendwo in der Umfassungsmauer, von den Bäumen
versteckt, mußte sich eine Tür befinden. Ein Kiesweg tauchte hinter den
Baumkronen auf und gabelte sich vor meinen Augen. Ein Teil führte
wahrscheinlich zu der Treppe mit den Bronzestatuen, der andere zu diesem Flügel
des Schlößchens. Ich dachte ein paar Augenblicke nach, unter wütenden Protesten
meines Kopfes. Meine angestrengten Versuche, mich zu erinnern, taten ihm gar
nicht gut.
    „Ich bin durch die kleine Tür in der Mauer
hereingekommen, stimmt’s?“ erkundigte ich mich.
    „Ganz sicher“, antwortete Joëlle.
    „Dabei habe ich Lärm gemacht, und Sie haben mich
gehört?“
    „Ja.“
    „Außer Ihnen hat mich niemand gehört?“
    „Anscheinend nicht.“
    „Aber Sie haben doch ebenfalls geschlafen,
oder?“
    „Natürlich.“
    Ich beendete das Kurzverhör.
    „Sehr schön“, murmelte ich.
    Ich ging zurück zu dem Sofa, suchte meine
Schuhe, fand sie und zog sie an.
    „Ich bin zu kaputt, um so eine enttäuschende
Unterhaltung fortzuführen. Besser, ich fahr nach Hause und ruh mich aus... Ich
stehe im Telefonbuch“, fügte ich hinzu. „Sollten Sie... Ich nehme an, Sie haben
Tage, an denen Sie offen reden, so wie andere Tage der offenen Tür haben...
Also, sollte sich so etwas ankündigen, sagen Sie mir Bescheid! Im Moment bitte
ich Sie nur um eins: einen Lappen, mit dem ich meine dreckigen Schuhe säubern
kann...“
    Von einem Ausflug in die angrenzende Toilette
brachte Joëlle mir das Gewünschte mit. Während ich mich mit meinen Schuhen
abmühte, stand sie vor mir und sah mir stumm zu. Dann wurde es ihr zu
langweilig, und sie setzte sich wieder auf den Stuhl.
    So langsam war ich davon überzeugt, daß meine
Schuhe nie mehr ihren ursprünglichen Glanz wiedererlangen würden. Ich gab es
auf und ging zu meinem Jackett über. Überflüssig. Nach einer Bürste zu fragen,
erübrigte sich. Das Kleidungsstück war nicht nur völlig verdreckt, sondern auch
völlig zerknautscht, nur an den zerrissenen Stellen nicht. Das gute Stück paßte
ausgezeichnet zu meiner Hose. Ein Anzug zum Ausziehen und Wegwerfen! Die
Taschen enthielten, außer einigen Schlüsseln, nichts. Sogar das Etikett des
Schneiders war entfernt worden. Ich zog die Jacke über.
    „Bin ich in dieser Aufmachung vom Himmel
gefallen?“ fragte ich.
    „Ja, genauso.“
    „Mit nichts weiter?“
    Meine Augen blickten sich suchend nach meinem
Hut, meiner Krawatte und meiner Lammfelljacke um.
    „Ja, genauso“, wiederholte Joëlle.
    „Also im Sonntagsausgehanzug von Don Juan!
Gibt’s

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