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Ein toter Lehrer / Roman

Ein toter Lehrer / Roman

Titel: Ein toter Lehrer / Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Lelic
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verstehst, was ich meine, oder? Der Mann hat drei Kinder erschossen. Kinder, Lucia. Und ihre Lehrerin obendrein. Eine Mutter. Selbst der
Guardian
hat ihn als Monster bezeichnet.«
    »Er war kein Monster, Philip. Was er getan hat, ist monströs, aber er war kein Monster. Und seit wann liest du eigentlich den
Guardian?
«
    »Tu ich nicht. Einer unserer Anwaltsgehilfen liest ihn. Oder besser, hat ihn gelesen. Ich hab einen Grund gefunden, ihn zu feuern.«
    »Du dürftest ihm damit einen Gefallen getan haben. Wahrscheinlich hast du seine Seele gerettet.«
    Philip nahm seine Zigaretten wieder heraus. »Ich will bloß mal eine in die Hand nehmen. Ich zünde sie nicht an, versprochen.«
    Lucia winkte ab. »Mach nur.« Sie beobachtete, wie Philip die Schachtel öffnete und eine Zigarette herauszog. Er legte sie in seine gewölbte Hand, wo sie aussah, als wäre sie ein Teil von ihm.
    »Na gut, er war vielleicht kein Monster«, lenkte Philip ein. »Vielleicht war er bloß verrückt. Vielleicht ist er bei der Hitze einfach durchgedreht. Und vielleicht wirkt sich die Hitze ja auch auf dich aus.«
    Das Wochenende war genauso drückend schwül, wie die Meteorologen vorhergesagt hatten. Von der Sonne drang zwar nur wenig durch die Abgase über der Stadt, aber die Dunstglocke glich einer schweren Bettdecke über einem Laken, das für die Jahreszeit ohnehin schon zu warm ist. In Philips Garten wehte kein Lüftchen, nirgends wehte ein Lüftchen. Aber Philip hatte vorgesorgt. Er und Lucia saßen unter einem Sonnenschirm auf den Steinplatten seiner picobello gejäteten Terrasse, in frisch geölten Teaksesseln, und jeder hatte seinen eigenen Ventilator. Als sie ankam, hatte Lucia ihren Gastgeber für diese Extravaganz getadelt, aber jetzt genoss sie seine Umsichtigkeit. Zum ersten Mal seit Wochen, so kam es ihr vor, hatte sie nicht den Drang, sich zu duschen, die Kleidung zu wechseln und sich eine Glatze zu scheren. Sie fühlte sich wohl. Wohl und ein kleines bisschen betrunken.
    »Du bleibst doch zum Mittagessen.«
    Lucia schüttelte den Kopf. »Ich kann nicht. Ich muss arbeiten.«
    »Du musst dich entscheiden, meinst du.«
    »Das kommt auf dasselbe raus«, erwiderte Lucia. Sie trank den letzten Schluck Wein.
    »Dann trinkst du aber wenigstens noch ein Glas.« Er griff nach der Flasche.
    »Hast du keinen Kaffee da?«
    Philip wollte die Zigarette zum Mund führen, ertappte sich dabei und blickte finster auf die unangezündete Spitze. »Wer trinkt denn bei so einem Wetter Kaffee? Hier.« Er ließ die Flasche kurz über dem Kühler abtropfen und wollte ihr über den Tisch hinweg nachschenken.
    Lucia legte die Hand auf ihr Glas. »Wirklich. Für mich nichts mehr. Es ist ja noch nicht einmal zwölf Uhr.«
    »Du solltest früher aufstehen. In Philip-Zeit ist jetzt schon mitten am Nachmittag.«
    »Ich muss los. Entschuldige bitte. Du weißt schon, weil ich so unerwartet angerufen habe. Weil ich hier einfach so hereingeschneit bin.«
    »Lucia, Liebes. Du gefällst mir gar nicht. Wo ist die lebenslustige Frau von früher? Keine Zigaretten, kein Alkohol vor dem Mittagsläuten. Also wirklich. Haben sie dir das bei der Metropolitan Police beigebracht?«
    Lucia stand auf. »Dein Haus und dein Garten sind wunderschön.«
    »Lucia«, sagte Philip. Er steckte die Zigarette in den Mund und klopfte seine Taschen ab. Schließlich fand er eine Schachtel Streichhölzer, und mit einem schuldbewussten Achselzucken in Richtung seines Gastes zündete er die Zigarette an und inhalierte tief. »Lucia, setz dich doch noch einen Moment.« Er wandte den Kopf zur Seite, als er den Rauch ausblies, aber der Ventilator hinter ihm wehte ihn zu Lucia, als würde sie selbst ihn anziehen.
    Lucia setzte sich, atmete ein.
    »Du hast mich nach meiner Meinung gefragt. Nach meiner professionellen Meinung.«
    Lucia nickte. »Und du hast sie mir gesagt.«
    »Ja, aber bitte erlaube mir noch eine abschließende Bemerkung. Der Fall existiert nicht, Lucia. Die Staatsanwaltschaft kauft dir das nicht ab. Und dein Chief Inspector auch nicht. Die Schmerzen, die du bereiten würdest, wären umsonst, und am Ende würdest du dich bloß lächerlich machen. Aber das«, fügte er hinzu und wedelte den Rauch weg, »bleibt unser Geheimnis.«
    »Du sagst also, ich soll den Mund halten.«
    »Im Gegenteil. Das würde mir nicht im Traum einfallen. Ich mache mir nur meine Gedanken, das ist alles.«
    »Worüber denn, Philip?« Sie verschränkte die Arme.
    »Ich frage mich, ob es bei dieser Sache

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