Ein toter Lehrer / Roman
verdammt noch mal! Psychoterror, anders kann man es nicht nennen.«
Er stieß noch einmal gegen die Jalousie, daraufhin drehte er sich um und schlug danach, als hätte sie ihn provoziert. Irgendetwas fiel zu Boden: der Stoffstreifen, der die Gardinenleiste bedeckt hatte. Fluchend bückte er sich und hob ihn auf. Dann stand er da, in der Hand das Stück Stoff, und sah Lucia an. In einem Mundwinkel hatte sich Speichel gesammelt.
Lucia wartete und beobachtete ihn.
Er ließ den Stoff fallen und wischte sich mit dem Ärmel über das Gesicht. Dann drehte er sich um und drückte erst die Stirn und dann die flachen Hände gegen die leicht ramponierte Jalousie. Es wurde dunkler im Zimmer. Lucia schloss die Augen.
Wenne redest, zünden wir dn haus an. CU
Sie strich den Asservatenbeutel auf dem Tisch glatt. Dabei sammelte sich in einer Ecke Luft, und plötzlich musste sie an Haut denken, auf der sich Blasen bilden von der Sonne. Sie schob den Beutel beiseite.
Da sie nicht wusste, wo sie sonst hinsehen sollte, sah sie Elliots Vater an. Er stützte die Ellbogen auf den Tisch und hielt das Handy vor sich, und beim Scrollen zuckte sein Daumen. Mit der anderen Hand hielt er sich den Mund zu. Ab und zu murmelte er etwas, schloss die Augen und fuhr mit der freien Hand hoch auf die Stirn und wieder zurück zum Mund. Er hatte gewusst, was ihn erwartete, als er darum gebeten hatte, die SMS noch einmal lesen zu dürfen. Genau wie Lucia konnte er sie mittlerweile wahrscheinlich auswendig in der Reihenfolge aufsagen, in der sie gesendet worden waren, bis hin zum genauen Wortlaut und der für seine Generation so seltsam anmutenden Schreibweise. Doch während er auf das Display sah, würde er die Qualen seines Sohnes nachempfinden können. Er würde leiden können, und dieses Leiden würde für einen Moment seine Trauer verdrängen.
Hallo Opfa, hf im kranknhaus. Kommse raus gehse wieda rein!
Lucia brachte zwei Becher Kaffee. »Er enthält Koffein«, sagte sie. »Das ist das Beste, was ich darüber sagen kann.«
Elliots Vater nahm den Pappbecher, den Lucia ihm reichte. Er dankte ihr murmelnd und schüttelte den Kopf, als Lucia ihm die zerdrückten Zuckertütchen anbot, die sie in der Hand hielt.
Sie setzte sich. Sie blätterte in ihren Notizen, dann warf sie einen Blick auf die Uhr und sah kurz zu Elliots Vater hinüber. Seine Hand lag um den Pappbecher. Lucias Becher war so heiß, dass sie ihn kaum lange genug anfassen konnte, um ihn zu den Lippen zu führen. Er hielt seinen fest umklammert und starrte auf seine Finger.
»Ich muss Sie etwas fragen«, sagte Lucia. Elliots Vater zog die Hand weg. »Ich dachte, das hätten Sie schon die ganze Zeit getan.«
»Etwas anderes.« Lucia klappte ihr Notizbuch zu. »Etwas, auf das ich nicht unbedingt eine Antwort erwarte.«
Er zuckte mit den Schultern. Er nahm den Deckel von seinem Kaffeebecher, und daraufhin stieg ein Dampfschwall auf und verstärkte den Geruch nach verbrannten Kaffeebohnen noch, der im Raum hing. Elliots Vater legte den Deckel verkehrt herum auf den Tisch.
»Warum wollten Sie ihn wieder hinschicken?«
Jetzt sah er sie an, seine Miene war starr.
»Vergessen wir einmal die SMS . Davon wussten Sie nichts. Aber nach allem, was passiert war. Nach dem, was man ihm angetan hatte. Warum haben Sie es auch nur in Erwägung gezogen, ihn wieder dorthin zu schicken?«
Er sah ihr einen Moment in die Augen. Dann schaute er wieder auf seinen Kaffee, setzte den Deckel auf und schob den Becher
von sich.
»Haben Sie Kinder, Detective?«
Lucia schüttelte den Kopf.
»Neffen? Nichten? Haben Sie Freunde mit Kindern?«
»Nein.«
»Dann haben Sie keine Ahnung.«
Mehr schien er nicht dazu sagen zu wollen. Lucia schlug die Augen nieder.
»Ich arbeite hier«, fuhr Elliots Vater dann aber doch fort. »In der Stadt, meine ich. Meine Frau hat keine Arbeit. Ich verdiene zwar nicht schlecht, aber auch kein Vermögen. Mehr als eine Kriminalbeamtin, nehme ich an, aber anders als Sie habe ich vier Mäuler zu stopfen.«
»Vier?«, fragte Lucia. Elliots Vater zuckte zusammen, und Lucia wurde klar, was in ihren Worten mitschwang. »Nein, verzeihen Sie bitte, ich wollte damit nicht sagen, dass …«
Er sah auf den Tisch und rieb sich die Stirn.
»Ich wusste das bloß nicht«, sagte Lucia. »Ich bin davon ausgegangen, Sie wären nur zu dritt.«
»Wir haben noch eine Tochter«, sagte Elliots Vater.
Lucia fiel das Fahrrad im Hausflur der Samsons wieder ein, jenes Fahrrad, das ihr für Elliot zu
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