Ein toter Taucher nimmt kein Gold
Galionsfigur der Sünde.
Ellen stand neben Faerber und goß immer wieder Wasser über die von Muscheln freigemeißelten Eisenstellen, schrubbte sie mit einer Stahlbürste ab und befreite sie von den letzten Kalkresten.
»Halt!« sagte Damms plötzlich. Seine Stimme klang wie ein Trompetenstoß. »Chagrin, halt! Da kommt etwas hervor. Lassen Sie mich an den Meißel. Das kann ich jetzt besser als Sie. Ich habe mal ein Pergament ausgegraben, da mußte ich mit einem weichen Pinsel die Jahrhunderte wegwedeln, so zerbrechlich war die Rolle.« Er begann zu meißeln, mit ganz vorsichtigen Schlägen, Millimeter um Millimeter, als sei kein Eisen unter seinen Händen, sondern eine weiche ägyptische Wachstafel.
Die anderen standen um ihn herum, schwitzend, müde von der Anstrengung des Tauchens. Sie zuckten zusammen, als Damms plötzlich ausrief:
»Da haben wir es! Da haben wir es! Kinder … es ist ganz deutlich.« Er schabte die Stelle frei und umklammerte das Eisenrohr, als wolle er es an sich drücken. Kaum sichtbar, ein paar Kratzer nur, vielleicht ausgeprägter als die anderen Schrunden in dem Eisen, für einen Laien völlig nichtssagend, waren einige Vertiefungen hervorgekommen. Faerber starrte seinen Freund fasziniert an. So viel Glückseligkeit in einem Männergesicht war geradezu ergreifend.
»Das Zeichen der königlichen Waffengießerei von Kastilien«, sagte Damms feierlich. Seine Finger strichen über die Runzeln des Eisens. »Und die Jahreszahl. Nehmt eine Lupe, ihr Blinden, verdammt, nehmt doch eine Lupe, seht es euch an. 1539. Da steht es doch … da …«
Faerber riß die Lupe an sich und beugte sich über das Kanonenrohr. Er sah ein paar Prägungen und die Andeutung einer Jahreszahl. Aber wenn Damms daraus 1539 las, stimmte es auch.
»Ja«, sagte er heiser vor Erregung. »Die Prägung.« Er reichte die Lupe an Chagrin weiter. Der beugte sich vor, blickte durch das Glas und legte es dann zur Seite. Sein verwittertes Gesicht zuckte leicht.
»Es stimmt. 1539«, sagte er. »Und das bedeutet …«
»Wir liegen direkt über dem Wrack der Zephyrus!« rief Damms.
»Und es liegt in der Felsspalte! Nur mit einer dünnen Sandschicht darüber. Höchstens fünfundzwanzig Meter tief … ein konserviertes Wrack.« Chagrin warf einen schnellen Blick hinüber zu Pascale. Sie senkte den Kopf etwas tiefer, mehr nicht. Und keiner bemerkte es.
»Das ist ein einmaliger Glücksfall, Freunde«, sprach Chagrin weiter. »Wir werden ein Schiff ausgraben, das fast vollständig erhalten ist. Natürlich nicht die Masten und die Takelage, die sind bei dem Orkan weggeflogen. Aber der Rumpf. Er ist in die Felsspalte hinabgesunken wie ein Stein, in ein völlig stilles Gewässer, und ist dort versandet.« Er lehnte sich gegen den Tisch und blickte auf das Meer. Es glänzte in der Mittagssonne wie Messing. »Wir werden durch die Laderäume schwimmen und die Millionen aufsammeln, als lägen sie auf der Straße. Freunde – in einer Woche sind wir im Schiff!«
Auch in dieser Nacht schlief niemand an Bord der Nuestra Señora. Damms hatte sich vor lauter Glückseligkeit betrunken – das war bei dieser Hitze kein Kunststück. Drei Whiskys und zwei Flaschen Bier genügten, und Chagrin und Faerber trugen ihn in seine Koje. Dort lag er nun, hellwach, aber betrunken, und erzählte in die Dunkelheit hinein die Geschichte der Könige von Kastilien.
Im Heck des Schiffes, hinter den Bambusmatten und Decken des Kabinenaufbaues für Chagrin, ging es weniger akademisch zu.
»Du bist ein Idiot!« sagte Pascale und stieß Chagrin weg, der nach ihr faßte. »Fällt das Rohr auf seinen Kopf, und du rettest ihn! Eine bessere Gelegenheit kommt nie wieder … ein Unfall unter Zeugen!«
»Ich konnte nicht anders.« Chagrin saß auf dem Bett und betrachtete Pascales nackten Körper. »Es war merkwürdig, aber als das Rohr wegrutschte, waren wir da unten alle Kameraden. Das wirst du nie verstehen. Es gibt im Leben eines Mannes Sekunden, da wird jeder des anderen Bruder.«
»Ich bin ganz gerührt!« Pascale zog das linke Bein an. Ihre Stellung war aufreizend, sie wußte es, und sie stellte sich darauf ein, Chagrin auf die Finger zu schlagen, wenn er sie anfaßte. Kameraden, dachte sie. Alles Brüder! Es geht um Millionen. Man hat für geringere Summen schon Vater und Mutter erschlagen.
»Es ist alles noch zu früh«, sagte Chagrin. »Wenn der ganze Schatz an Bord ist – dann, mein Liebling!«
»Wenn keiner mehr ins Wasser geht, kann keiner mehr
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