Ein toter Taucher nimmt kein Gold
leeren Kisten innen vor der Tür aufgestapelt, hatte sein Bett mit Kartons umgeben und unmittelbar neben seinen Kopf die Säcke mit Mehl und Zucker hingestellt.
»Als Ersatz für Sandsäcke!« rief er durch die Tür, als Faerber anklopfte. »Ich weiß, Ellen will das Mehl. Die Säcke stehen neben meinem Kopf. Wenn Sie etwas haben wollen, gebe ich es portionenweise heraus. Aber fünf Schritte weg von der Tür! Ich schieße sofort. Ich habe eine 38er bei mir, das wissen Sie.«
»Wollen Sie ab jetzt immer dort leben, René?« fragte Faerber.
»Ja. Ihre Garantie ist mir nichts wert. Verliebte Verrückte versichert nicht einmal Lloyds, und bei denen können Sie sich sonst sogar eine Veränderung an Ihrem Hintern versichern lassen!«
»Und wenn wir tauchen?«
»Vorläufig fällt das aus. Das rote Luder hat die Haie verrückt gemacht. Blutiges Rindfleisch hat sie ins Meer geworfen! Das berechtigte mich, sie blutig zu schlagen. Erklären Sie das Ihrem Freund.«
»Ich habe keinen Freund mehr, Chagrin. Auf dem Schiff leben nur noch feindliche Gruppen. Es ist die Hölle geworden.«
»Irrtum, Faerber!« Chagrin lachte bitter. »In der Hölle weiß jeder, was los ist. Wir sind noch total im Ungewissen!«
Am Abend flog ein kleines einmotoriges Sportflugzeug vom Land her über die Nuestra Señora. Es hatte gelbe Tragflächen, eine grellrote Schnauze und an beiden Seiten einen Jaguarkopf aufgemalt.
Über dem Schiff ging es tiefer und überflog mehrmals das Deck in so geringer Höhe, daß Faerber meinte, er könne die runden Räder ergreifen. Zwei Männer in Lederkappen saßen in den offenen Sitzen und reagierten nicht auf Faerbers Winken. Chagrin kam aus seiner Kistenburg heraus und schoß ohne Warnung mit seiner 38er auf die Maschine. Sie machte sofort kehrt und flog zur Küste Yukatans zurück.
»Sie sind wohl total übergeschnappt?« rief Faerber. »Was haben Ihnen die Männer getan?«
»Nichts. Noch nichts. Aber warten Sie ab!« Chagrin griff in die Hosentasche und lud den Revolver nach. »Drüben ist man munter geworden. Überlegen Sie mal, Faerber: ein Schiff, das jetzt fast zwei Wochen still, ohne sich zu rühren, zwischen der Küste und der Chinchorro-Bank liegt. Wenn wir nicht Idioten sind, müssen wir hier etwas vorhaben. Und genau das denken die da drüben!« Chagrin steckte den Revolver in seinen Gürtel. »Lieber Freund, wir werden unsere Millionen noch hart verteidigen müssen …«
Amerigo Santilla und Pedro Dalingues flogen zur Küste zurück.
Ein Schuß Chagrins hatte ihren linken Flügel getroffen, ohne aber viel Schaden anzurichten. Die Kugel hatte nur ein kreisrundes Loch in den Flügel geschlagen. Aber das war nicht das Entscheidende – wichtiger war, daß man jetzt wußte, daß Fremde auf dem Schiff nicht willkommen waren. Das wiederum bestätigte, was die Fotos, die Emanuele und Domingo auf der Nuestra Señora aufgenommen hatten, deutlich zeigten: Irgendwo da unten im Meer lag ein versunkenes Schiff, und eine Handvoll Fremder machte sich daran, es zu heben.
Santilla, der die kleine Sportmaschine flog, war extra aus Mexiko City nach Chetumal in Yukatan gekommen, um sich persönlich von der Wahrheit der Meldung zu überzeugen. In Chetumal unterhielt er eine Zweigstelle seiner Handelsfirma. Wenn man hörte, was er exportierte, wunderte man sich über seinen Reichtum: Santilla vertrieb steinerne, tönerne, hölzerne und eiserne Nachbildungen alter Maya-Kunstwerke. Vom Kopf des Regengottes bis zur Sonnenscheibe. Von der heiligen Schlange bis zur Darstellung des Mädchenopfers von Chichén Itzá.
Das Geschäft lief gut – aber wer kann sich davon einen Palast in Mexico City, eine Hazienda an der Küste, drei Sommersitze, über das ganze Land verteilt, einen Düsen-Jet und zwei Sportflugzeuge leisten? Von den Autos sprach schon gar keiner mehr. Ein Bentley gehörte zur Alltagsausstattung.
Es mußten also andere Geldquellen angebohrt worden sein, und genau das war das Geheimnis von Santillas Erfolg.
Er war – schlicht gesagt – der letzte große Pirat an Mexikos Meeresküsten. Für ihn fuhren vierzehn schnelle, mit Kanonen bestückte Motorjachten die Küsten auf und ab und kaperten alles, was Geld brachte. Die Seepolizei kam notorisch zu spät, außerdem waren Santillas private Kriegsschiffe schneller, und die Marine lag immer woanders als dort, wo Santillas Piraten auftauchten. Bis sie am Tatort war, hatten die Piraten die Waren schon längst ausgeladen, rollte die Beute bereits in Lastwagen zu
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