Ein toter Taucher nimmt kein Gold
den einzelnen ›Filialen‹ des cleveren Santilla.
Jeder Polizist an der Küste wußte von diesen Geschäften, aber niemand sprach darüber. Zu viele Hände mischten mit, vom kleinsten Hafenbeamten bis zum einflußreichen Bankier. Man munkelte sogar, daß hohe Polizeibeamte beim Auftauchen von Santillas Piratenflotte auf beiden Augen blind wurden.
Wie gefährlich es war, Santillas Geschäfte zu stören, erfuhr auch ein amerikanischer Reporter. Was an Mittelamerikas Küsten gemunkelt wurde, wollte er ganz genau wissen und begann mit seinen Recherchen über das moderne Freibeutertum.
Der Reporter verschwand spurlos. Niemand suchte ihn. Es wäre auch bare Zeitverschwendung gewesen. Und Santillas Schnellboote kreuzten weiter vor den Küsten, kaperten oder verlangten einen ›Schutzzoll‹.
Bereits vor Wochen, als Faerber in Yukatan die Nuestra Señora charterte und umbauen ließ, als die Handwerker von Xcalak und die Fischer an der Küste von Quintana Roo das Geschäft ihres Lebens machten, indem sie das Schiff mit Waren belieferten, bekam Santilla in Mexiko City einen Wink von seinem Vertreter in Yukatan, dem Erzhalunken Pedro Dalingues.
Dem war eine lange Sitzung der ›Sektion Yukatan‹ vorausgegangen, von der Santilla natürlich nichts wußte. Auf dieser Sitzung waren sich alle über eines einig: Der Fisch, der da draußen an der Chinchorro-Bank herumschwamm, war zu groß, um ihn allein und ohne Santillas Segen an Land zu ziehen. Auch fuhren seine Schnellboote nicht die fieberverseuchte Küste von Yukatan ab, denn hier gab es nichts zu kapern als arme Fischer, Schwammtaucher und ein paar selbständige, aber nicht sehr erfolgreiche Perlenfischer. Es war die unlukrativste Strecke ganz Mittelamerikas. Man mußte also mit konservativen Mitteln vorgehen, so wie vor hundert Jahren die berühmten Kollegen mit der schwarzen Flagge.
Nun war der große Santilla selbst gekommen, hatte die Nuestra Señora besichtigt und sagte zu Dalingues, nachdem sie auf dem kleinen Flughafen von Chetumal gelandet waren:
»Ich überlasse die Sache dir, Pedro. In diesem Fall beteilige ich dich ausnahmsweise mit zehn Prozent am Gewinn. Was du brauchst, fordere an. Nur eines wollen wir vermeiden: Aufsehen. Noch weiß keiner, was diese Ausländer eigentlich vorhaben. Aber ich werde mich erkundigen.«
Zehn Prozent Beteiligung … Santilla ahnte nicht, daß er damit Dalingues zum Millionär machen würde.
Den ganzen Tag telefonierte Santilla dann herum, ließ seine Beziehungen bis in die Ministerien spielen – und erfuhr nichts. Nur so viel war herauszubekommen: Es handelte sich um Deutsche. Drei Männer, zwei Frauen. Santilla lachte zufrieden:
»Über diese fünf Finger ziehe ich meinen Handschuh!« rief er gutgelaunt. Er machte oft solche Bonmots. »Aber die ältesten, Señores! Was können fünf Menschlein schon aus diesem Mistmeer holen? Alte Kanonen und Kochtöpfe. Pedro – ich schenke dir die komplette Ausrüstung, die du ihnen abnimmst. Mehr kannst du nicht holen!«
Wie ein so kluger Mensch wie Santilla sich so irren konnte! Am Abend noch stieg er mit seinem Düsen-Jet auf und flog zurück nach Mexico City. Seine ›Küstengeschäfte‹ waren ihm wichtiger. Dabei lag vor seiner Tür der größte Schatz, der je aus einem Wrack gehoben werden konnte.
Pedro Dalingues rief seine kleine Mannschaft zusammen: Emanuele, Domingo, das Aztekenhalbblut Paulus und das Mayahalbblut Jesus Maria. Lauter getaufte Männer, die gläubig dem Padre die Hand küßten, im Kirchenchor von Xcalak sangen und bei der Prozession den Himmel trugen.
»Freunde«, sagte Pedro feierlich. »Wir haben das Glück gepachtet. Santilla hat das Interesse an der merkwürdigen Sache da draußen verloren – aber ich glaube, wir werden noch eine Überraschung erleben.«
Die kleine Truppe begann mit ihren Vorbereitungen. Sie rüstete drei Boote aus und wartete dann ab, was sich weiter da draußen auf dem Meer tat. Ein Boot war ständig unterwegs zur Überwachung der Nuestra Señora. Tag und Nacht lag es in Sichtweite.
»Wir haben Zeit, Freunde«, sagte Dalingues. »Unser großer Tag kommt, wenn die da drüben aus dem Meer holen, was ich erträume. Dann brauchen wir nur zu kassieren.«
»Sie sind bewaffnet«, warf Jesus Maria ein.
»Wir etwa nicht, ha? Außerdem sind wir nur die Wachtposten. Wenn es ans Stürmen geht, werden wir zwanzig, dreißig, fünfzig Mann sein! Wo gibt es hier an der Küste einen Mann, der nicht für 1.000 Pesos einen Menschen
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