Ein toter Taucher nimmt kein Gold
»Von ihrer Ausdauer sollten wir lernen. Hören Sie mich, Hans?«
»Ich höre. Aber Haie brauchen kein Süßwasser. Kommt der Korb richtig an, Chagrin?«
»Goldrichtig. Genau neben dem Einstieg.«
»Sie lassen Ellen doch im Korb, nicht wahr?«
»Nein, ich nehme sie mit ins Schiff.«
»Sie verrückter Hund!« schrie Faerber. Der Korb hing knapp über der Decköffnung der Zephyrus. »Ich ziehe Sie wieder hoch.«
»Überlegen Sie sich das, Hans!« antwortete Chagrin kalt. »Mich hindert nichts daran, die Tür aufzumachen und Ellen einen Schubs zu geben.«
»Dann lasse ich Sie auch unten, Sie Schwein!«
»Bitte – aber ich hab Chancen, an die Luft zu kommen. Die Haie werden sich voll und ganz mit Ellen beschäftigen und mich ignorieren. Hans, machen Sie keine Dummheiten. Noch einen Meter 'runter, dann haben wir es geschafft. Ellen ist ein mutiges Mädchen.«
Der Korb setzte auf dem Meeresboden auf. Chagrin öffnete die Tür, stieg aus, zog den Korb genau über das in das Deck geschlagene Loch und nickte Ellen zu. Sie ließ sich hinuntergleiten und zuckte zusammen. Im starken Licht des vor die Brust geschnallten Scheinwerfers sah sie zum erstenmal den Raum voller Gerippe. Sie schwamm durch die aufgebrochene Tür in den großen Vorraum und wartete dort. Chagrin folgte ihr schnell.
»Sie bewegen sich schon so, als seien Sie hier zu Hause«, sagte er. »Jetzt geht es dort die Treppe hinunter, und dann stoßen wir auf den Gang. Dort bleiben Sie stehen und warten. Ich hole die Kisten aus dem Heck und reiche sie Ihnen. Das heißt, wir werden die Münzen und Barren in Säckchen herausholen und nach oben schicken. Die Kisten sind zu schwer für uns. Es wird der tollste Goldtransport sein, ein Fließband der Millionen.«
»Ich komme mit«, sagte Ellen und begann, die breite Treppe hinunterzuschwimmen.
Chagrin schwamm ihr schnell nach und hielt sie an dem Atmungsgerät fest. »Ausgeschlossen! Ein Stoß an die morschen Wände, und wir sind tot!« rief er.
»Wenn Sie nicht anstoßen, warum sollte ich? Das ist keine Logik.«
»Das ist Millimeterarbeit. Ellen – Sie sind meine Lebensversicherung, aber nicht mein Lebensrisiko.«
»Ich will Admiral da Moya sehen.«
»Ein Gerippe wie die da hinten, weiter nichts.«
»Trotzdem.« Sie blieb vor dem dunklen Gang stehen.
»Gehen Sie nur hinein, Chagrin. Wenn ich Ihnen mit Abstand folge, haben Sie gar keine Möglichkeit, mich zurückzubringen. Die morschen Wände …«
»Sie verrücktes Luder!« Chagrin leuchtete in den Gang hinein. Wie ein verschwommenes Gebilde sah man das herrliche, geschnitzte Treppenhaus, das Tor zu den Milliarden. »Kommen Sie!« sagte Chagrin heiser. »Aber wenn der Giftfisch auch Sie sticht – ich kann's nicht verhindern. Mich hat er auch angegriffen. Er ist der Wachhund des Admirals.« Er schwamm in den engen Gang, und Ellen folgte ihm – ein schlanker Fisch in einem gelben Gummipanzer mit breiten blauen Streifen an den Seiten.
Zehn Minuten später standen sie vor dem Gerippe von Admiral da Moya. Ellens Scheinwerfer tauchte ihn in gleißendes Licht. Chagrin hinter ihr drehte sich immer um sich selbst, um den Giftfisch abzulenken, der glücklicherweise lichtempfindlich war.
Langsam schwamm Ellen auf das sitzende Gerippe zu und beugte sich über den Kopf. Die Augenhöhlen zeigten nach oben, so wie der Kopf beim Untergang gelegen hatte, war er noch nach hinten an die Kante der Bank gelehnt. »René«, sagte Ellen ergriffen. Chagrin hatte den schnellen Fisch im Licht. Der lanzenförmige, fahlbleiche Leib schoß hin und her und suchte den schützenden Schatten. Aber Chagrin ließ ihm keine Chance mehr.
»Halten Sie den Mund, Ellen!« zischte Chagrin. Seine Stimme zitterte stark. »Ich habe ihn! Ich habe das Biest! Jetzt entkommt er mir nicht mehr!« Er riß sein langes, doppelschneidiges Messer aus dem Schaft und schwamm vorsichtig auf den fahlen Fischleib zu. Die beiden Scheinwerfer, der vor der Brust und der an der Stirn, tauchten das hin und her schnellende Tier in gleißendes Licht. Chagrin trieb es in eine Ecke der Kajüte. Dort standen sie sich gegenüber, unbeweglich, in tödlicher Feindschaft. »Komm«, sagte Chagrin mit bebender Stimme. »Komm, Fisch! Es ist vorbei mit dir. Du sitzt in der Falle. Paß auf, Fisch, was ich tue.« Blitzschnell stieß er zu, aber ebenso rasch schnellte der Fisch weg. Chagrin hatte das berechnet. Der Fisch flog fast an der oberen Schneide des Messers vorbei und schlitzte sich auf. Kein Blut quoll aus dem Leib,
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