Ein toter Taucher nimmt kein Gold
schußbereit. Neben ihm stand Pedro Dalingues und schwenkte ein weißes Tuch. In Rufweite hielt das Boot an, und Pedro legte beide Hände vor den Mund.
»Hören Sie mich?« rief er auf spanisch.
»Ja!« schrie Chagrin zurück. »Aber ich spreche kein Spanisch. Können Sie Französisch?«
»Ein bißchen.«
»Das genügt schon!« Chagrin lachte rauh. »Also, was ist?«
»Freies Geleit gegen 50 Prozent Beteiligung!«
»Nicht einen Peso, du Halunke!«
»Wir haben Zeit, Monsieur. Wir lassen Sie auf dem Meer austrocknen!«
»Über dieses Spielchen möchte ich fast eine Wette abschließen! Sie werden sie verlieren!«
»Wetten wir!« Pedro hob die Faust. »Das erwartet Sie.«
Er gab Paulus einen Wink. Das Maschinengewehr ratterte los, Chagrin warf sich hin. Dicht über ihn hinweg schlug die Salve in den Aufbau des Ruderhauses. Dann wendete das kleine, schnelle Boot und ratterte zu den anderen zurück. Zehn Wachhunde, die sofort zubeißen würden, wenn sich die Nuestra Señora rühren sollte.
Chagrin kroch auf dem Bauch zur Treppe und ließ sich hinunterrollen.
»Begreifen Sie jetzt endlich, in welcher Lage wir sind?« schrie er Faerber an, als er in die Kajüte stolperte. »Sie sagen 50 Prozent und meinen 100! Sie garantieren freies Geleit und legen uns an der Küste um! Und Sie Spinner glauben noch immer, Sie könnten das Leben Ihres Freundes erkaufen!« Er setzte sich und streckte die Beine aus. »Nur eins beruhigt mich bei diesem Mist: Sie können mir nicht mehr den Tod von Peter in die Schuhe schieben!«
»Darüber reden wir später, Chagrin!« sagte Faerber tonlos.
»Wenn es ein Später gibt. Verdammt, wir müssen uns etwas einfallen lassen, um hier herauszukommen. Ich verschenke keine 4,5 Milliarden Mark! Sie täten das, nicht wahr, Hans?«
»Ja.«
»Da kann man nichts machen.« Chagrin hob die Schultern. »Jeder Mensch ist auf seine Art verrückt. Wir müssen uns jetzt nur darüber im klaren sein, daß wir ab sofort Tag und Nacht eine Wache aufstellen müssen. Das Märchen von der vielen Zeit glaube ich den Halunken nicht …«
Am Abend verbrannten sie zum erstenmal nasses Holz und ließen damit eine deutlich sichtbare Rauchsäule zum Himmel steigen. Man mußte sie von weither sehen – wenn es hier überhaupt Schiffe gab, die sich dafür interessierten, was außer ihnen auf dem Meer herumschwamm …
In der Nacht starb Peter Damms.
Hans Faerber hatte noch einmal alles versucht, was mit den Mitteln, die er besaß, möglich war. Er wußte, daß es ein aussichtsloser Kampf war, aber er wollte Peter nicht kampflos aufgeben. Wider alle Vernunft versuchte er, die Atemlähmung aufzuhalten. Er klemmte Damms sogar das Mundstück eines Tauchgerätes zwischen die Zähne, ließ reinen Sauerstoff einfließen und pumpte dann die Luft in den Brustraum, indem er den Thorax fünfmal rasch und kräftig gegen die Brustwirbelsäule drückte. Noch einmal gab er eine Reihe von Injektionen und saß dann allein am Bett, hielt Peters Hand und blickte ihm in die geweiteten Augen.
Damms war bei vollem Bewußtsein. Er hörte alles, war aber so gelähmt, daß er sich weder rühren noch einen Laut von sich geben konnte. In der Nebenkajüte lag Pascale mit dem Gesicht nach unten auf dem Bett und heulte wie ein kleiner Hund. Ellen saß neben ihr und drückte sie immer wieder zurück, wenn sie aufspringen und nach nebenan zu Damms laufen wollte. Chagrin saß auf dem Dach des Ruderhauses und hielt Wache. Er beobachtete die zehn Boote, die wie winzige Glühwürmchen auf dem Wasser tänzelten.
»Peter«, sagte Faerber tonlos. Es kostete ihn Mühe, zu sprechen, als sei er selbst gelähmt. »Peter, kannst du mich verstehen?«
Damms bewegte die Augen. Ja, hieß das. Sprich nur, Hans. Ich weiß, was du mir sagen willst. Nimm die Infusionsschläuche weg, leg die Spritzen zur Seite … Ich habe immer vor dem Tod Angst gehabt. Jetzt, wo ich mit offenen Augen vor ihm stehe, ist das alles so einfach, so merkwürdig selbstverständlich.
»Ich kann nichts mehr für dich tun«, sagte Faerber langsam. »Ich muß dir das sagen, Peter. Aber ich verspreche dir, daß deine Mutter und deine kleine Schwester deinen Anteil bekommen. Peter …« Er beugte sich über seinen Freund und streichelte ihm über das bleiche Gesicht. Plötzlich weinte er. »Es war eine gute Freundschaft zwischen uns.«
Peter Damms schloß die Augen. Das war der Abschied. Nun gewöhnte er sich an die Dunkelheit. Die Luftnot war fürchterlich, aber er konnte nicht schreien,
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