Ein toter Taucher nimmt kein Gold
Ellen einen Anzug von Faerber, hatte die Haare hochgebunden und einen geflochtenen weißen Hut aufgesetzt. Ein weiter Pullover verdeckte alle weiblichen Formen. Von weitem, auch durch ein gutes Fernglas, war nicht zu erkennen, daß dort eine Frau arbeitete.
Pedro Dalingues fiel auf die Täuschung herein, denn nach eingehender Musterung aller Personen an Bord der Nuestra Señora sagte er: »Der dritte Mann arbeitet wieder mit. Wenn ich bloß erkennen könnte, was sie da in die Tiefe mitnehmen wollen! Ein neues Gerät? Verdammt noch mal!«
Kurz vor sieben Uhr morgens tauchte der Schutzkorb ins Meer. Neben Chagrin und Faerber lehnte Peter Damms' eingewickelte Leiche. Pascale hing über der Reling, bis sie den Korb unter Wasser nicht mehr sehen konnte und die dämmerige Tiefe ihn verschluckte. Dann ging sie zum Funkgerät und stülpte sich den Kopfhörer über.
Das Rasseln der Winde schien heute anders zu klingen – es war wie das Scheppern zerbrechender Totenglocken.
Vor dem Deckenloch des Wracks sprang Chagrin als erster aus dem Korb, zog ihn nahe an den Einstieg heran und verankerte ihn im Meeresboden. Die beiden Haie schwammen in weiter Entfernung herum, träge, verschlafen, noch nicht zur Jagd aufgelegt.
Vorsichtig ließ Faerber das Totenpaket aus dem Käfig in den Einstieg gleiten. Dort nahm es Chagrin in Empfang und wartete, bis Faerber im Wrack war. Durch die große Gerippekammer, die aufgebrochene Tür und den Treppenvorraum ging es sehr schnell. Aber dann standen sie vor dem engen Gang zum Hinterschiff und waren sich darüber im klaren, daß sie den toten Damms nicht in die Mitte nehmen konnten, ohne an die Wände zu stoßen.
»Ich schwimm' voraus«, sagte Faerber. »Einverstanden?«
»Es ist Ihnen doch klar, daß Sie die ganze Strecke rückwärts, also blind schwimmen müssen! Sie müssen ja Peter mit anfassen.«
»Natürlich!«
»Und Sie glauben, das mache ich mit?« Chagrin schüttelte den Kopf. »Das ist Millimetersache! Und das ist Profisache. Ich schwimme voraus. Sie können mich immer noch korrigieren, wenn ich zu weit seitlich abkomme. Los, diskutieren wir nicht!« Er schwamm voraus, wendete dann, ergriff den Totensack, wo Peters Kopf sein mußte, und begann mit ganz leichten, vorsichtigen Flossenschlägen, rückwärts in den Gang zu schwimmen. Faerber faßte das andere Ende des Toten, schob und hob nach. So schwammen sie langsam durch den Gang, Meter um Meter, den Tod zwischen und um sich.
Chagrin schwamm vorzüglich, millimetergenau. Faerber brauchte ihn nur zweimal zu korrigieren. Dann hatten sie das Treppenhaus erreicht und schwebten nach oben zur Admiralskajüte. »Das schwöre ich Ihnen, Hans«, sagte Chagrin heiser, als sie vor den geschnitzten Treppen standen, »so etwas mache ich nicht noch einmal! Das kostet zehn Jahre Leben. Los jetzt, damit Ihr verdammtes Gemüt zufrieden ist!«
Sie legten den Sack mit Peters Leiche auf die Bank, wo Admiral da Moya gesessen hatte. Dann standen sie davor, leuchteten den Toten mit ihren Brustscheinwerfern an und nahmen Abschied.
»Bei uns bläst man Clairons, bei Ihnen singt man ›Ich hatt' einen Kameraden …‹ Worauf einigen wir uns?« fragte Chagrin.
»Ich möchte Ihnen in den Arsch treten!« antwortete Faerber schwer atmend.
»Das wäre auch ganz im Sinne des Verstorbenen.« Chagrin legte grüßend die Hand an den Kopf, wandte sich dann ab und schwamm weg. »Wenn Sie fertig sind, Hans, ich warte bei den Goldkisten. Wir nehmen gleich ein paar mit zurück.«
Dann war Faerber allein. Er legte noch einmal die Hand auf den Sack, wo Peters Kopf sein mußte, und sagte langsam: »Pascale, hörst du mich?«
»Ja, Hans …«, kam es von oben.
»Kannst du noch beten?«
»Ja …«
»Dann tu es.« Er ließ die Hand auf Peters Kopf, betete kurz und wandte sich dann ab. Im Strahl seines Scheinwerfers huschte ein bleicher, lanzengleicher Fisch schnell in die rettende Dunkelheit.
Faerber tauchte schnell nach unten. Dort wartete Chagrin neben einer Kiste. »Peter hat seinen eigenen Wachhund«, sagte Faerber heiser. »Von jetzt an bewacht ihn ein Giftfisch. Chagrin, und wenn Sie mich für verrückt halten: Man könnte hier abergläubisch werden!«
An diesem Tag tauchten sie noch fünfmal und holten Gold, Münzen und Edelsteine im Wert von mehreren Millionen aus dem Wrack der Zephyrus. Es war, als sei Chagrin ein Wesen ohne Müdigkeit, ohne Kräfteverfall, ohne Lungen und Herz geworden. Die Besessenheit, die das Gold bei ihm auslöste, aktivierte
Weitere Kostenlose Bücher