Ein toter Taucher nimmt kein Gold
Kräfte in seinem Körper, die niemand vermutet hatte. Als Chagrin zum siebtenmal hinunter wollte, kapitulierte Faerber.
»Ohne mich!« sagte er. Er lag an Deck auf dem Rücken wie ein an Land geworfener Fisch. »Sie sind ja wahnsinnig, Chagrin.«
»Das stimmt. Bei soviel Millionen hat man ein Recht dazu! Wissen Sie, wie lange wir noch tauchen können? Wenn wir die Lebensmittel rationieren müssen, wenn das Trinkwasser in Schlucken verteilt werden muß, ist auch die letzte Kraftreserve zum Teufel. Aber solange die Muskeln noch arbeiten, sollen sie Gold aus der Tiefe holen. Wir haben noch Zeit genug, den Millionen nachzuweinen, die wir zurücklassen müssen.«
»Was wir schon oben haben, genügt, um bis ans Lebensende sorglos zu leben. Was wollen Sie mehr, Chagrin?«
»Den optimalen Reichtum, Hans! Mit jedem Hinuntertauchen eine Million gewinnen – wir wären doch irr, das nicht bis zum letzten Schnaufer zu machen! Und wenn Sie nicht mehr können – ich mach's allein … mit Ellen …«
»Fangen Sie schon wieder mit dem Blödsinn an?!«
»Nur zum Selbstschutz. Sie kann vor dem Gang warten. Es genügt, wenn sie mit mir unten ist. Hans, ich traue Ihnen nicht.« Chagrin saß unter dem Sonnensegel, noch im Gummianzug, und trank ein Glas Obstsaft. »Vor ein paar Tagen waren Sie noch der liebe, ideale Junge, den man mit einigen Tricks auf den Rücken legen konnte. Sie haben eine verfluchte und schnelle Wandlung durchgemacht. Ohne mich zu beweihräuchern – Sie sind mir ebenbürtig geworden. Und Ellen ist eine knallharte Person. Pascale haßt mich wie der Schmetterling die Spinne. Ich stehe völlig allein! Glauben Sie nicht, daß das ein fröhliches Gefühl ist!«
»Ich heiße nicht Chagrin«, sagte Faerber. »Ich habe nie den Gedanken gehabt, Sie umzubringen.«
»Aber ich Sie, was?« – »Ja.«
Chagrin musterte Faerber. Was hatte Pascale verraten? Sei's drum – Die Situation war eine andere geworden. Niemand sollte sich mehr darum kümmern, was bereits hinter ihnen lag.
»Wer hat Ihnen dieses Schauermärchen aufgebunden?« fragte Chagrin und versuchte sein spöttisches, provozierendes Lachen. »Das rote Teufelchen Pascale?«
»Kein Wort. Aber ich bin nicht blind, René …«
»Vielleicht schielen Sie unbewußt?«
»Auch nicht. Es hat keinen Zweck, das ins Lächerliche zu ziehen. Das Auftauchen der mexikanischen Piraten hat Ihre ganzen Pläne zerstört, Chagrin. Die große Chance, Alleinerbe zu werden, ist vorbei. Überhaupt sind Sie allein wertlos – wir schaffen es nur gemeinsam! Dafür müßte man den Mexikanern direkt einen Anteil überlassen – sie sind unsere Lebensretter.«
»Ich sagte ja schon: Sie haben eine erschreckende Wandlung durchgemacht, Hans.« Chagrin trank seinen Fruchtsaft aus. »Wie lange können wir noch tauchen?«
»Wieso?« Faerber hob den Kopf.
»Wie sieht's mit dem Benzinvorrat aus? Die Winden brauchen Strom, und den liefert unser benzingetriebenes Aggregat. Wir brauchen aber auch noch genug Sprit, um über das Meer zu flüchten und die Küste von Guatemala zu erreichen. Da sind wir sicher. Also nicht nur Wasser und Essen, sondern auch das Benzin bringt uns in Zeitnot.«
»Ich sehe nach«, sagte Faerber. Er stand auf und ging hinunter in den Maschinenraum. Nach zehn Minuten war er wieder da. Schon bevor er sprach, sagte Chagrin laut: »Scheiße! Ich habe es geahnt! Ihr dämliches Gesicht sagt genug!«
»Wenn wir übers Meer flüchten wollen, müssen wir morgen losfahren! Bis zur Küste – das sind zehn Kilometer – reicht es noch, wenn wir zwei Wochen hier herumliegen und das Gold heraufholen.«
»Und wozu haben Sie sich entschlossen, Hans?«
»Wir fahren übers Meer …«
»Noch vier Tage … geht das? Vier Tage nur noch … das sind, mein Gott, das können zehn Millionen werden! Vier Tage müssen wir doch herausholen können! Wenn wir so wenig Strom wie möglich verbrauchen, kein Licht mehr brennen lassen, alles roh essen – vier Tage, Hans!«
Chagrin schlug die Fäuste gegeneinander und rannte übers Deck. Er stand vor den heraufgeholten Schätzen, wühlte mit den Händen in den Goldmünzen und stand dann an der Reling, stierte ins Meer und hielt seinen Kopf umklammert, als zerplatze er.
»Er beginnt wirklich wahnsinnig zu werden«, sagte Faerber zu Ellen, die aus der Küche kam. »Ich beobachte das schon seit Tagen. Mit der ersten Kiste Gold ist etwas in seinem Hirn zersprungen. Chagrin befindet sich in einem schrecklichen Wettlauf zwischen der Kraft seines
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