Ein toter Taucher nimmt kein Gold
Leistung, aber kein Heldentum. Man redet zuviel über die Gefahr, man redet sie sich förmlich ein. Dieses Meer zu durchschwimmen ist eine Freude. Es trägt einen vorwärts wie mit tausend offenen Händen … Langsam kroch der Tag in den Himmel. Faerber ruhte sich etwas aus, schwamm kräftesparend – ökonomisch, wie der Trainer sagte –, ließ sich eine ganze Strecke auf dem Rücken treiben und merkte, daß eine Strömung ihn der Küste entgegentrug. Die Sonne stieg blutrot aus dem Meer, der Himmel wurde zu einem feurigen Gewölbe, das den bleichen Mond verschluckte. Es war ein herrliches Schauspiel, diesen Untergang der Nacht zu erleben, bis die Sonne endlich über dem Horizont erschienen und die Welt wieder vollkommen war.
Mit dem neuen Tag aber kam auch der Tod.
Faerber sah ihn von links heranschießen – eine Dreiecksflosse, auf der der goldene Reif des jungen Morgens schimmerte …
Ellen wachte früher aus dem bleiernen Schlaf auf, als Faerber erwartet hatte. Auch Chagrin war überrascht, als sie plötzlich an Deck stand und rief: »Wo ist Hans?«
Chagrin, der wieder mitten zwischen seinen Goldkisten saß und in den Münzen wühlte, blickte hoch und nickte hinaus aufs Meer.
»Er dürfte jetzt schon die halbe Strecke zurückgelegt haben. In vier Stunden – wenn er sich schont – könnte er an Land klettern …«
»Mein Gott!« Ellen lehnte sich an die Wand des Ruderhauses. Eine unbeschreibliche Übelkeit überfiel sie. Ihr Herzschlag setzte ein paarmal aus, sie rang nach Luft, Meer und Himmel drehten sich umeinander. »Sie Schuft!« sagte sie endlich mühsam. »Sie Mörder! Sie gemeiner, hinterlistiger Mörder! Sie haben Hans in den Tod getrieben …«
Chagrin klappte die Goldkiste zu und erhob sich. Er trug nur eine knappe Badehose, und sein muskulöser Körper glänzte in der hellen, sauberen Morgensonne. Noch dampfte das Meer nicht, die Klarheit des jungen Tages hob alle Konturen scharf hervor. Er war für eine neue Tauchserie bereit, bei der Ellen Faerbers Platz einnehmen mußte. Pascale traute er nicht, der Tod Peter Damms' hatte sie in seinen Augen unzurechnungsfähig gemacht.
»Ellen«, sagte Chagrin begütigend.
»Bleiben Sie stehen, Sie Mörder!« schrie sie. Plötzlich hatte sie eine Pistole in der Hand, sie mußte mit ihr im Rockbund geschlafen haben. »Ich habe Ihnen gegenüber keine Skrupel mehr. Ich drücke ab …«
»Ellen, hören Sie mich ruhig an.« Chagrin hob beide Hände als Zeichen, daß er keine hinterlistigen Absichten hatte. »Es war eine ehrliche Auslosung. Hans oder ich … Hans verlor, und er ist ein Mann, der zu seinem Wort steht. Ohne Hilfe von außen sind wir verloren. Die mexikanischen Piraten kennen kein Pardon; noch ahnen sie nicht, was wir hier an Bord haben. Aber wenn sie das Schiff erobern, ist eines klar: Bei diesen Schätzen dürfen wir gar nicht überleben! Hans und ich hatten das eingesehen, und gestern nacht fiel die Entscheidung. Hätte ich die Auslosung verloren, wäre ich jetzt draußen auf dem Meer. Ellen! Seien Sie einsichtig! Hans ist für uns alle unterwegs, ohne ihn sind wir jetzt schon Tote, und unser Leben ist nur ein Schattendasein. Glauben Sie, mir ist wohl in meiner Haut?«
»Und … und wenn er es nicht schafft? Was dann?« Ellen holte tief Atem. Plötzlich zitterte die Pistole in ihrer Hand, sie steckte sie wieder in den Rockbund und hielt sich an einer Stange am Ruderhaus fest.
»Denken wir nicht daran, Ellen«, sagte Chagrin dunkel. »Nicht jetzt, heute oder morgen … Dafür bleibt uns immer noch Zeit genug – viel zuviel Zeit …«
»Und wenn wir alles wieder zurück ins Meer werfen?! Warum sollten uns die Piraten töten, wenn wir nichts mehr haben?«
Chagrin starrte Ellen an, als spräche ein Geist zu ihm. »Ins Meer zurück? 70 Millionen? Wie kann man so etwas auch nur denken?«
»Wenn man für diesen Preis weiterleben kann …«
»Nein! Nein!« Chagrin schüttelte wild den Kopf. »Ich weigere mich, daran zu denken! Ich glaube, daß Hans es schafft! Alles andere ist verschwendete Kraft! Hans ist unterwegs mit der besten Ausrüstung, die ein Schwimmer haben kann. Er kommt zur Küste …«
»Und die Haie … die Barrakudas …?« Ellen warf beide Hände vor das zuckende Gesicht. »Sie haben ihn mit Ihrem Wahnsinn angesteckt, Chagrin!« schrie sie durch die zitternden Finger. »Erst haben Sie Peter umgebracht, jetzt Hans! Ich schwöre Ihnen! Auch Sie werden nicht überleben. Was mit mir passiert, ist mir jetzt völlig
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