Ein toter Taucher nimmt kein Gold
breite, zweischneidige Messer und zusätzlich einen langen, nadelspitzen Dolch. In einem wasserdichten Sack hatte er eine Notverpflegung verpackt. Zwieback, zwei Fleischbüchsen, eine Blechflasche mit Wasser, eine kleine Plastikflasche mit Kognak. Faerber brachte einen zweiten Sack mit Verbandmaterial und den notwendigsten Medikamenten mit. Er hatte von Ellen Abschied genommen. Sie schlief ebenso wie Pascale. Er hatte Ellen zärtlich geküßt und ihr über die verschwitzten Haare gestrichen.
»Ich komme zurück, mein Liebling«, hatte er leise gesagt. »Morgen früh wird es schrecklich für dich sein, aber du wirst einsehen, daß es die einzige Möglichkeit war. Und wenn ich nicht mehr zurückkomme – jedes Ding hat seinen Preis, und ich habe ihn bezahlen müssen. Sei tapfer, Ellen …«
Es war eine laue, helle Nacht. Die kleinen Lichter der Boote, die sie bewachten, blinkten ganz schwach. Zehn Tage und Nächte lagen sie nun schon auf der Lauer, unerbittliche Jäger, die wußten, wie wertvoll das Wild war. Sie hungerten es aus, und die Zeit war ihr Verbündeter.
»Alles klar?« fragte Chagrin. Faerber nickte. Er trug nur eine Badehose. Für den Fall, daß er wirklich die Küste erreichte, lagen in dem Packsack lange Hose, Baumwollhemd und leichte Schuhe. Drüben erwartete ihn der höllische Fieberdschungel. Sümpfe voller Moskitos, Schlangen und Giftspinnen. Wenn er das Meer überwunden hatte, würde er gegen das Land mit seinen feuchtheißen Dämpfen, den verfilzten Regenwäldern und dem schwammigen Boden mit ganzer Kraft ankämpfen müssen.
Blieb ihm dazu genug Zeit und Kraft? Er hatte zwar die Karte genau studiert. Aber wußte er, wo er an Land kam, wohin ihn die Meeresströmung trieb? Wo traf er auf Menschen, die ihm weiterhelfen konnten? Schnelle Hilfe, denn jeder Tag machte die Lage auf der Nuestra Señora aussichtsloser.
»Alles klar«, sagte Faerber rauh. Er streckte die Arme aus und stieg in den Gummianzug, den Chagrin ihm hinhielt.
»Angst?« fragte Chagrin und zog den langen Reißverschluß zu.
»Hätten Sie keine, René?«
»Mir würde das Arschloch zittern …«
»So ähnlich ist mir auch zumute!« Faerber zog die Gummikappe über den Kopf. Chagrin hielt ihm den breiten Tauchergürtel mit den verschiedenen Transporthaken hin. »Was macht Ellen?« fragte er dabei.
»Sie schläft. Ich habe ihr ein Schlafmittel in den Tee getan, sie hat es nicht gemerkt. Pascale ebenfalls. Sie werden bis in den späten Morgen hinein schlafen. Dann müßte ich an der Küste sein – oder kurz davor … oder im Magen einiger Haie.«
»Daran sollten Sie nicht denken. Das macht Sie nur unsicher, Hans. Wenn Sie gleich ins Wasser springen, denken Sie nur an eins: Ich komme durch! Ich komme durch! Nur das! Alles andere existiert nicht, bis es unmittelbar vor Ihnen ist. Und dann kämpfen Sie … Nicht allein um Ihr Leben, unser aller Leben hängt daran!«
»Das brauchen Sie mir nicht zu sagen.« Faerber schnallte den Gürtel um, Chagrin hob die Sauerstoffflaschen auf und legte sie Faerber an. Dann hakten sie die Messer und die wasserdichten Säcke an den Gürtel, Chagrin streifte die Schwimmflossen über Faerbers Füße und drückte ihm die Harpune in die Hand. Die Reservepfeile und eine aufklappbare Lanze trug Faerber schräg vor der Brust, so daß sie mit einem Handgriff zu erreichen waren. Chagrin ging noch einmal um ihn herum und kontrollierte alles.
»Sie können, Hans!« sagte er dann. Plötzlich streckte er ihm die Hand hin. Faerber drückte sie. »Ich bin kein gläubiger Mensch.« Chagrins Stimme schwankte etwas. »Aber ich sage es trotzdem: Gott mit Ihnen! Hoffentlich faßt Gott das nicht als Beleidigung auf und tut genau das Gegenteil. Wie's auch kommt, Hans: Beißen Sie sich durch …«
Faerber nickte. Dann stieg er langsam die Holzleiter an der Bordwand hinunter und ließ sich ins Meer gleiten. Schon jetzt begann die erste kritische Phase: Kamen die beiden treuen Haie?
Chagrin beugte sich über die Reling und winkte. Faerber winkte zurück. Dann stieß er sich ab und schoß wie ein großer schwarzer Fisch durch das Wasser. Nach wenigen Metern verschlang ihn die Nacht.
Chagrin starrte noch ein paar Minuten in die Richtung, in der Faerber jetzt schwimmen mußte, hörte aber keine außergewöhnlichen Geräusche. Die Haie schienen ihre Nachtruhe zu genießen und waren wohl zu faul, um anzugreifen. War Faerber erst ein paar hundert Meter vom Schiff entfernt, war er vor diesen beiden Mördern sicher. Sie
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