Ein Traum in roter Seide
Oberflächlichkeit, Schwäche, Faulheit, Verlogenheit, Drogensucht und dergleichen. Da du nichts von alldem aufzuweisen hast, muss ich dir leider sagen, meine liebe Michelle, du bist bei der Beurteilung durchgefallen."
Sie schüttelte den Kopf. „Ich weiß nicht genau, was ich davon halten soll. Machst du dich über mich lustig, oder soll es ein Kompliment sein?"
Er lächelte rätselhaft. „Wenn du die Wahrheit hören möchtest, sage ich sie dir gern."
„Und was heißt das schon wieder?"
„Dass es meine Pflicht ist, dich als meine Begleiterin zu dem Empfang zu fahren und dafür zu sorgen, dass du genug zu trinken bekommst.
Danach bringe ich dich zu Hause ins Bett", antwortete er ausweichend.
Michelle bekam Herzklopfen. Doch plötzlich merkte sie, dass es in seinen Augen amüsiert aufblitzte. Tyler neckte sie schon wieder!
Okay, wie er will, was er kann, kann ich auch, sagte sie sich.
38
„Gute Idee", erwiderte sie betont liebenswürdig. „Dann fang endlich an, mein Lieber. Und beeil dich bitte."
5. KAPITEL
Der Empfang fand in einem wunderschönen alten Herrenhaus in Mosman statt, das vor ungefähr zehn Jahren modernisiert und umgebaut worden war. Seitdem wurde es für große Feiern, Feste und andere gesellschaftliche Ereignisse benutzt. Das zweistöckige Gebäude mit den großen Baikonen und den eleganten, kun stvoll verzierten Geländern war von einem riesigen Grundstück umgeben.
Hinter dem Haus befand sich ein Parkplatz für ungefähr hundert Autos.
Tyler stellte seinen neuen Wagen zwischen einem dunkelblauen Mercedes und einem schnittigen silberfarbenen Sportwagen ab.
„Was meinst du, Tyler, muss ich meine Tasche mitnehmen?" fragte Michelle, ehe sie ausstieg.
„Lass sie hier. Wenn du einen Kamm brauchst, leihe ich dir meinen."
„Gute Idee."
Nach den vielen Autos zu urteilen, waren die meisten Gäste schon da.
Das war auch eigentlich kein Wunder, denn Tyler war langsamer gefahren als sonst. Wahrscheinlich gefällt ihm das alles genauso wenig wie mir, überlegte Michelle, während er sich bei ihr einhakte und sie zum Herrenhaus führte.
Schließlich gingen sie mit hoch erhobenem Kopf die breite Steintreppe hinauf und durch die breite, weit geöffnete Doppeltür. Ein Mitarbeiter in Livree dirigierte sie auf die gewundene Treppe zu, die Michelle an den Film Vom Winde verweht erinnerte. Beim Anblick des langen Tischs an der Wand in der Eingangshalle, auf dem sich die Hochzeitsgeschenke stapelten, bekam Michelle ein schlechtes Gewissen. Sie hatte ganz vergessen, dem glücklichen Brautpaar ein kleines Präsent mitzubringen oder wenigstens eine Glückwunschkarte zu schicken.
„Das ist okay", sagte Tyler leise und führte sie an dem Tisch vorbei die Treppe mit dem roten Läufer hinauf. „Ich habe meine Sekretärin gebeten, ein Geschenk zu kaufen. Es ist gestern bei der Braut 39
abgegeben worden. Du brauchst dich nicht schuldig zu fühlen."
Unvermittelt blieb sie stehen und sah ihn verblüfft an. „Woher weißt du, was ich gedacht habe?"
„Ich weiß immer, was du denkst", antwortete er leicht spöttisch.
„Deine Augen und dein Blick verraten dich. Woher hätte ich sonst wissen sollen, dass du dich immer schrecklich über mich geärgert hast? Ehrlich gesagt, Michelle, wenn du weiterhin erfolgreich in der Werbebranche arbeiten willst, musst du lernen, dich zu verstellen."
„Heißt das, ich muss lernen zu lügen?"
„Nein, nicht unbedingt. Aber du solltest dir angewöhnen, we niger offen und nicht so durchschaubar zu sein. Das Leben geht mit Menschen, die ehrlich sind und ihre Gefühle zeigen, oft ziemlich brutal um."
„Du meinst, ich sollte beispielsweise Kevin gegenüber so tun, als ..."
„Genau", unterbrach er sie. „Da du heute hier bist, um die Sa che für dich endgültig abzuschließen, wäre es wirklich besser, du würdest dich dementsprechend verhalten, Michelle. Sonst steht er eines Tages wieder vor deiner Tür, auch wenn er jetzt verheiratet ist."
„Das wird er nicht wagen!"
„Und wenn er es doch tut und sich bei dir beklagt, wie unverstanden er sich von seiner Frau fühlt und dass er eigentlich immer nur dich geliebt hat, wie reagierst du dann?"
„Ich ... na ja, ich ..."
„Oh, ich liebe Frauen, die genau wissen, was sie wollen", sagte er ironisch.
Plötzlich wurde Michelle zornig. „Du hast gut reden, dir sind deine Freundinnen ja völlig egal. Wahrscheinlich weißt du gar nicht, was es bedeutet, jemanden so lange zu lieben, wie ich Kevin geliebt
Weitere Kostenlose Bücher