Ein Traum in roter Seide
interessierte sie momentan nicht. Sie war viel zu besorgt über seinen gequälten Blick.
So hatte sie ihn nur ein einziges Mal erlebt, damals, als sie ihn im Krankenhaus besucht hatte.
„Tyler, mein Liebling", sagte sie leise und legte ihm die Hand aufs Knie. Sie musste unbedingt herausfinden, warum er so un glücklich war.
Er blickte auf ihre Hand und lachte. „Ja, Michelle, mein Liebling?"
Seine Stimme triefte nur so von Sarkasmus.
Rasch zog Michelle die Hand zurück und betrachtete sein Ge sicht.
„Was ist passiert?" versuchte sie es noch einmal.
„Ich könnte es dir auch nicht in einer Million Jahren erklären. Deshalb nur so viel: Ich habe gehofft, es würde sich alles ändern. Aber ich habe eingesehen, dass es unmöglich ist. Ich bin selbst für alles verantwortlich und muss versuchen, damit fertig zu werden." Seine Stimme klang irgendwie erschöpft.
„Ich weiß nicht, was du meinst." Sie ahnte jedoch, was los war.
Wahrscheinlich wollte er ihr klarmachen, dass er sich nicht ändern konnte. Er war ein Mann, der Frauen gern hatte, ohne sie zu lieben.
Auch wenn er seinem Vater gern den Gefallen getan und eine Familie gegründet hätte, konnte er sich nicht an einen Lebensstil gewöhnen, der ihn letztlich doch nur langweilte.
„Du regst dich über die Bemerkungen deines Vaters auf, stimmt's?"
Tyler sah sie überrascht an.
„Du würdest ihm zuliebe gern heiraten", fuhr sie fort. „Doch du weißt genau, dass es für dich nicht das Richtige wäre. Und du hast Recht, Tyler, es wäre falsch, nur aus Gründen der Vernunft statt aus Liebe zu heiraten."
Seine Miene sagte ihr, dass sie richtig geraten hatte.
„Und du, Michelle? Wirst du jemals heiraten?" fragte er.
Sie schüttelte den Kopf. „Nein", erwiderte sie schmerzerfüllt. „Das kann ich mir nicht vorstellen." Immer wieder erinnerte sie sich an Lucilles Warnung. Kevin hatte sie beinah schon vergessen. Aber Tyler? Nein, Tyler würde sie nie vergessen können. Wie könnte jemals ein anderer Mann nach ihm ihren Ansprüchen gerecht werden?
Michelle entschloss sich, mit der Trennung nicht mehr zu warten.
„Ich wollte eigentlich erst am Morgen mit dir darüber reden", begann 101
sie mutig. „Doch ich kann es genauso gut jetzt schon tun: Ich meine, wir sollten den alten Zustand wiederherstellen und nur noch gute Freunde sein."
Er blickte sie durchdringend an. „Warum? Ist dir der Sex mit mir nicht gut genug?"
„Du weißt, dass das Unsinn ist. Aber ..."
„Aber was?"
„Es ist wahrscheinlich nicht genug."
„Und was wäre für dich genug, Michelle?" spottete er. „Wenn du in deinen Liebhaber verliebt wärst?"
„Ja, etwas in der Art."
„Wie stellst du dir deine Zukunft vor? Willst du für den Rest deines Lebens auf Sex verzichten?"
„Das ist durchaus möglich."
„Das glaube ich dir nicht. Dazu hast du mich heute Nacht viel zu hingebungsvoll geliebt. Lass uns doch ehrlich sein, Michelle, du bist ungemein leidenschaftlich, stimmt's? Ich war ziemlich verblüfft und kann verstehen, warum der liebe Kevin immer wieder zu dir zurückgekommen ist."
Mit großen Augen sah Michelle ihn an. Sie war verletzt und fühlte sich gedemütigt.
Als Tyler merkte, was er angerichtet hatte, stöhnte er schmerzerfüllt auf. „Du liebe Zeit, das wollte ich nicht. Verdammt, sieh mich nicht so an, Michelle. Es tut mir Leid. Aber ich habe gedacht, du hättest dir vielleicht vorgestellt, ich sei Kevin. Und das hat mich verrückt gemacht. Das, was du mir gegeben hast, sollte mir allein gehören."
„Das hat es auch. Ich habe nicht Kevin, sondern nur dich ge meint" , entgegnete sie mit T ränen in den Augen. „Hast du es denn nicht gemerkt, du Dummkopf? Merkst du schon gar nicht mehr, wenn sich eine Frau in dich verliebt?"
Er war so bestürzt und schockiert, als hätte sie ihn geohrfeigt.
Michelle stand auf und kehrte ihm den Rücken zu, um ihre Verzweiflung zu verbergen. „Es tut mir Leid, ich wollte es dir gar nicht verraten. Und ich wollte mich auch nicht in dich verlieben. Es ist einfach passiert."
Sie spürte, dass er dicht hinter ihr stand, und versteifte sich. Und als er sie an den Schultern packte und Michelle an sich zog, stöhnte sie auf.
102
„Bist du sicher, dass das, was du für mich empfindest, Liebe ist?"
fragte er leise an ihrem Ohr.
Michelle erbebte. „Was könnte es denn sonst sein?"
„Ja, was sonst?"
Sie wirbelte herum. „Glaubst du mir etwa nicht?"
„Vielleicht irrst du dich. Man verliebt sich leicht, wenn man gerade
Weitere Kostenlose Bücher