Ein Traum von einem Schiff. Eine Art Roman
dieser Symptomunterdrückungsorgie kam ich mir wie ein verstopftes Becken vor, und am liebsten hätte ich mir einen Pömpel geschnappt und mir pumpend ins Gesicht gedrückt. Doch »wie es in einem aussieht, geht niemand was an«, heißt es ja so schön in Lehárs
Land des Lächelns
, und in meinem Falle würde es sicher auch keiner wissen wollen, und so hab ich mich mehr schlecht als recht als menschgewordener, hochdosierter Arzneicocktail durch diesen meinen ersten Operetten-Drehtag schlawinert.
Unser Kameramann, ein fleißiger Herr mit faulem Atem, der, könnte ich mir vorstellen, mit seinem ewigen Zigarrenstummel im rechten Mundwinkel schon die ersten Marika-Rökk-Filme belichtet hat, stellt sich als jemand heraus, der mit mindestens zwei Leuten gleichzeitig reden könnte: Selten habe ich jemanden so stark schielen sehen. Da er den Mund aber eh nicht aufkriegt, vielleicht weil er Angst hat, dann seines Cohiba-restes verlustig zu gehen, werde ich diese Annahme niemals überprüfen können. Was bleibt, ist die Frage, ob er mit dieser Augenstellung den richtigen Beruf ergriffen hat, eine Frage, die Abermillionen von treuen
Traumschiff
-Fans längst mit »Ja« beantwortet haben.
Übertroffen an Skurrilität und Einmaligkeit wird unser Bildmacher nur von unserem Regisseur, der das Panoptikum aufs Erheiterndste erweitert. Er ist bestimmt fünfzehn Jahre jünger als ich, hat ein komplett zugewachsenes Gesicht und trägt rund um die Uhr eine verspiegelte Sonnenbrille, die nicht nur seine Augenbrauen vollständig überdeckt, sondern auch noch seine Nasenflügel berührt. Die bärtige, genmanipulierte Fliege Puck stellt man sich so vor. Niemand hat jemals seine Augen gesehen und es würde mich nicht wundern, wenn sie im selben Winkel zueinander stünden wie die unseres schweigsamen Kamerafossils.
Niemand, so auch ich nicht, versteht diesen Mann. Er versteht es, so unglaublich zu nuscheln und das Wenige so gerade eben noch Verständliche in einem österreichischen Akzent zu ersäufen, dass man nur hoffen kann, an den richtigen Stellen zu nicken, den Kopf zu schütteln, »Nein« oder »Ja« zu sagen. Von »Regie führen« kann hier eigentlich keine Rede sein, ist aber ja eh nicht nötig: Jeder hinter der Kamera macht seinen Dienst nach Vorschrift und jeder vor der Kamera zieht eine seiner maximal zwei Schubladen – fertig!
»Christoph,
wenndevlleichimomändesentdäcknsdärbositionänklänesbisserlwätermiddemganzngsichtobiwärssswäärsadraumdannkönnmerdösdra’sädenndumogstdenzwätensotzmiddabisserlmehrschwung, okay?«
»Klar, Bruno, super Idee … Genauso mach ich’s!«,
Mit Regieanweisungen wie dieser kann das Ganze nur ein
Kracha werden.
An der eindimensionalen Rolle, die ich hier zu chargieren habe, wird’s jedenfalls nicht scheitern. Sie fügt sich in ihrer erfrischenden Konturlosigkeit und ihrer gnadenlosen Austauschbarkeit so passgenau in den Chor der anderen unglaubwürdigen Strichmännchen, dass es eine Freude ist. Ich muss einfach nur Lügen runterknattern wie:
»Das kann ich mir vorstellen, dass das schwer für Sie war, Susanne!«
oder
»Mein Gott, das dürfte Ihnen nicht leicht gefallen sein, Bettina.«
oder gar
»Herrje, Gisela!«
Und neben der Herausforderung, nicht schon beim Anatmen laut loszuprusten, ist das Schwierigste daran, sich immer erinnern zu müssen, welcher Satz wann kommt, denn der jeweils andere würde auch gerade passen.
Für dieses Problemfeld gibt es an den Film-Sets dieser Welt ein eigenes Berufsbild, nämlich das von Script und Continuity. Das Drehbuch liegt die ganze Zeit über aufgeschlagen auf dem Schoß einer meist weiblichen Angestellten, bereit, wie ein Spickzettel von den Agierenden genutzt zu werden, eine Art Selbstbedienungsbüfett mit Buchstabensuppe.
Der zweite englische Begriff umreißt das andere Arbeitsfeld derselben Kollegin, und das besteht darin, darauf zu achten, dass der Darsteller das einmal Geprobte, wenn erst mal die Kamera läuft, immer genau gleich abspult, also alle Gesten, Kopfbewegungen und dergleichen mehr. Jede Szene wird ja normalerweise mehrfach, aus verschiedenen Perspektiven gedreht. Daher kommen Begriffe wie Totale, Halbtotale, Halbnahe, Close up etc., und dann »dreht man sich noch um«, wie man so sagt, nämlich in die Gegenrichtung, und alles, was eben in Richtung Darsteller X aufgenommen wurde, wird nun auf Darsteller Y wiederholt mit X im sogenannten Anschnitt. Das heißt, man könnte noch in der
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