Ein Traum von einem Schiff. Eine Art Roman
Unschärfe dessen Kopf sehen, seine Schulter mit Arm spüren oder Ähnliches, und daher muss X dann wieder das Glas mit dem grünen Saft in der Hand halten und an derselben Stelle trinken wie vorher. Hätte er nämlich nun stattdessen eine Zigarette zwischen den Fingern und würde ab und zu rauchen, gäbe es die berühmten Anschlussfehler, von denen es im Internet nur so wimmelt.
Roger Moores James Bond trug zum Beispiel mal ein blaues Hemd, das nach dem Umschnitt rosa war. Kräht kein Hahn nach, außer einer Handvoll Fanatiker. Vor allem im angelsächsischen und amerikanischen Raum misst man der Anschlussgenauigkeit nicht so eine Wahnsinnsbedeutung bei. Da kann dann schon mal ein Charlton Heston in
Ben Hur
noch seine Rolex anhaben, oder unter als Römer verkleideten amerikanischen Komparsen entdeckt man plötzlich einen vierten Regieassisstenten, der die Kleindarsteller mit Megaphon und in Jeanshose anstachelt, noch lauter zu schreien.
Auch die Angst vor dieser Art der Kontinuität ist es dann, die dafür sorgt, dass oftmals Dialogstellen so schlimm hölzern wiedergekäut werden. Sie werden einfach nur aufgesagt, wie ein Gedicht, nur in schlecht. Nachher müssen wir uns ja »umdrehen«, und dann ist man noch zu »spüren«, und dann hat man vergessen, an welcher Stelle man gezogen, getrunken oder gehustet hat. Also heißt es für die Zaluskowskis und Sassmanns dieser Welt: Hände baumeln lassen, Kopf geradeaus, Mund auf- und zumachen – das muss reichen. Gähn!
Wichtiger noch als die Sprechblasenverwalterin ist allerdings gerade an unserem traumhaften Set die Stukkateurin. Sie ist es, die Schäden ausbessern, Oberflächen polieren und Risse kitten muss. Ihr wichtigstes Werkzeug ist der Pinsel, mit dem sie unentwegt bröckelnde Fassaden übermalt. Überhaupt sind unsere Schadensreguliererinnen rund um die Uhr gefordert, denn die Maskenabteilung hat immer Bereitschaft.
Sie sind diejenigen, denen man an jedem Drehtag als Ersten begegnet und kriegen immer und überall alles ungefiltert ab: Der Sand in den ungewaschenen Augen ist noch besonders grobkörnig, die schlechten Träume sind noch niemandem erzählt, der erste Kaffee steht noch aus, der Atem bricht sich noch ungelüftet Bahn, und die Bereitschaft, sich unzensiert mitzuteilen, ist in den Morgenstunden am größten. Mithin ist eine Maskenbildnerin eine Starbuckskosmetikerin mit zahnärztlichem Beichtstuhl, ein Allroundtalent in einem brutal widerstandsfähigen Nervenkostüm.
Bei uns kommt noch eine Prise Pflegeversicherung dazu, da unser steinalter Post-it-Kleber ein dermaßen schlecht sitzendes Toupet trägt, dass vor jedem Take eine neue Schicht medizinischen Spezialklebers auf die alters- und leberbefleckte Kopfhaut aufgetragen werden muss, damit es nicht von den starken Winden auf den Schiffdecks in den Ozean geweht wird.
10
Tachsüber
Mein erster Drehtag.
Spult sich alles äußerst routiniert ab. Fast alle im Team sind bereits seit drei Jahrzehnten mit an Bord und selbst die als Komparsen gewonnenen, echten Passagiere, die für diese Reise teilweise empfindlich tief in die Tasche greifen mussten, bewegen sich vor der Kamera, als hätten sie nie was anderes gemacht. Da bekommt der im Ruhestand befindliche Metzgermeister aus der Osteifel, der in fünf verschiedenen Dörfern seiner Gemeinde mit seinen Fleischereien zu ungeahntem Reichtum gekommen ist, denselben kindlichen Gesichtsausdruck wie die Wilmersdorfer Witwe, die alle ihre Männer in Frieden ruhen lässt und ihr Überleben erst jetzt so richtig genießen kann, weil sie das Gefühl hat, die Nase in den Wind der großen, weiten Welt des Showbusiness zu halten.
In einer kurzen Babypause – auf Deck drei müssen mehrere Säuglinge ruhiggestellt werden, bevor wir weiterdrehen können – lehne ich mich übermüdet an die Reling und genieße meinen sechsten Espresso mit Redbull, als ein fideler Kreuzworträtselkönig in Shorts und Unterhemd das Wort an mich richtet:
»Darf isch mal ’n Fotto von Ihnen machen?«
»Gern.«
»Sie spielen doch hier mit, nä?«
»Ja.«
»Und wer sind Sie?«
»Ein Familienvater, dessen Tochter hier auf dem Schiff … –«
»Nä, isch mein in äscht!«
»Ach so. Herbst ist mein Name.«
»Jenau. Isch kenn Sie aus’m
Derrick
, nä?«
»Genau da hab ich noch nicht mitgespielt und … geht ja jetzt auch leider gar nicht mehr, weil … –«
»… dä tot ist, der Erik Ode, ja, ja, janz traurisch is dat, janz, janz
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