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Ein unauffälliger Mann - Chadwick, C: Ein unauffälliger Mann - It's All Right Now

Ein unauffälliger Mann - Chadwick, C: Ein unauffälliger Mann - It's All Right Now

Titel: Ein unauffälliger Mann - Chadwick, C: Ein unauffälliger Mann - It's All Right Now Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Chadwick
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mich streng an, als erwartete sie, daß ich sie enttäusche, sie ins Unrecht setze. »Dann vorwärts, christliche Soldaten«, waren die etwas unvermittelten Abschiedsworte meines Vaters. »Dann vorwärts, christliche Pappkameraden«, ergänzte meine Mutter, als ich bereits in den Zug stieg. Als ich einen Sitzplatz gefunden hatte, schaute ich zum Fenster hinaus, aber sie waren schon auf halbem Weg zum Ausgang. Wie glücklich hätte es mich gemacht, sie Arm in Arm zu sehen, aber sie ging ein Stückchen voraus, und er griff sich in die Tasche. Es war, als wäre ihnen nie etwas passiert, als könnte nie etwas passieren.
     
    Als ich ihn das letzte Mal sah, war er bereits im Krankenhaus. Der Krebs hatte seine Knochen erreicht, und er lag sehr still da, die Hände unter der Bettdecke versteckt. Es war fast, als würde er knapp über dem Bett schweben, sich von seinem Fleisch lösen, damit es ihn nie wieder belästigte, nie wieder an das erinnerte, was es nicht mehr sehr lange zusammenhalten konnte. Ich hätte gern meine Hand auf die seine gelegt, nur dieses eine Mal, nun, da die Verklemmtheit zwischen all dem anderen kaum noch auffallen würde. Sein Gesicht, das immer hager und ausgezehrt gewesen war, war noch dünner geworden, die Haut hing ihm schlaff von Augen und Mund und vergrößerte sie weit über die Reste ihrer fragilen Gewißheiten hinaus. Ich fragte mich, ob ihm bewußt war, wie sehr er mich anstarrte, als müsse er sich darüber klar werden, wer ich bin. Ich dachte mir, wie sehr seine Haut doch einem dieser von ihm so geliebten, glatten, einerschalenweißen Käse ähnelte, mit einem gewissen Stilton-Effekt in den Höhlungen seiner unrasierten Wangen. Was einem am Ende nur für Gedanken kommen.

    »Ich mach’s nicht mehr lange«, sagte er, öffnete dabei den Mund weit und zwang ihn wieder zu.
    »Blödsinn«, sagte ich. »Die Ärzte setzen doch die Behandlung fort, oder?«
    Er zuckte zusammen und öffnete die Lippen, wie um zu hören, wie die Antwort lauten sollte. »Weiß nicht, was schlimmer ist. Das ist alles kein Spaß. So oder so fühlt man sich ziemlich beschissen. Der Laden. Du willst ihn nicht, oder?« Seine Stimme klang schläfrig, die Sätze zerfielen so sehr in die einzelnen Wörter, daß sie schon fast keine Beziehung mehr hatten.
    »Ich weiß nicht so recht, Dad. Ist dir das so wichtig?«
    »Das einzige, was mich noch kümmert, ist, daß ich hier herumliegen muß. Dieses Scheißding, was da in mir herumkriecht.« Dann schwieg er und musterte meine Augengegend, als wäre dort ein neuer Grund zum Weiterleben zu finden. »Daliegen und warten, bis die ganze Scheiße endlich vorbei ist. Aus und vorbei.« Er lächelte flüchtig. »Na ja. Kleine Läden, die gibt’s inzwischen überall. Die Leute machen eben ihre Geschäfte. Kannst mehr rausholen als ich. Aber vielleicht auch nicht. Bevor’s dann bei dir soweit ist.«
    »Mutter könnte ihn ja weiterführen. Sich jemanden einstellen.«
    Es sah aus, als wollte er die Hände unter der Bettdecke herausziehen, überlegte es sich aber anders und lag wieder still da. Sein Gesicht fing an zu flackern, doch dann klappte sein Mund auf, und das Flackern hörte auf. Sein Blick wanderte zum Fenster, wo es zu schneien angefangen hatte. Ich dachte, wie wenig ich doch in seine Augen geschaut hatte, wie selten er mich angeschaut hatte, und auch dann immer nur, um sich meiner Aufmerksamkeit zu versichern. Und jetzt schaffte ich es nicht, in ihnen zu lesen, was ich noch sagen könnte, um irgendetwas zu ändern: Plötzlich war Wut in ihnen und ein diszipliniertes Selbstmitleid und ein furchtbarer Neid, für den er sich schämte. Aber es war so uneinzigartig für ihn, für uns, das Ganze. Ich schaute auf die Bettdecke, wo seine Beine sich ein wenig bewegten.
    »Sie wird schon wissen, was sie tut«, sagte er laut. »Hilft auch
nichts, wenn man weiß, daß das jedem einmal passiert. Irgendwann. Man glaubt’s einfach nicht. Es schneit wieder, wie ich sehe. Deine Mutter bringt nie Blumen mit. Nicht wie die anderen. Würden mich eh bloß dazu bringen, daß ich mich nach draußen sehne. Um sie wachsen zu sehen.« Er lachte oder hustete kurz und zuckte noch einmal, schaute zu seinen Füßen hinunter. »Glaubst du eigentlich an ein Leben nach dem Tod?«
    »Eigentlich schon«, log ich.
    »Ich denk nicht dran. Deine Mutter tut’s nicht. Hat allerdings Zweifel bekommen, als ich dann krank wurde. Hat mir den Vikar vorbeigeschickt. Ein Neuer. Hat kein einziges Mal von Jesus oder vom

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