Ein unauffälliger Mann - Chadwick, C: Ein unauffälliger Mann - It's All Right Now
sonst wirst du schon sehen, was du zu sehen bekommst« – das allerdings, ohne eine Meinungsäußerung über Hippies und Stonehenge zu stören. Ich suchte nun wieder ihren Blick, aber sie war hinaus in den Garten gegangen, wo sie sich zu dem Vikar und einem der Golfer stellte, der eben auf seine Uhr schaute. Direkt vor der Terrassentür machte der Colonel den Immobilienmakler auf etwas im Garten aufmerksam und sagte: »Sollte man schleunigst was machen ... Was haben Sie gleich wieder gesagt? ... Von wegen, man gewöhnt sich an alles.«
Seine Frau stand unterdessen einige Meter entfernt bei Jenners, und die beiden schienen meistens gleichzeitig über Vietnam oder
Tourismus zu reden und sich dabei auf sehr höfliche Weise nicht ausstehen zu können, während Mrs. Jenners zwischen den beiden hin- und herschaute, als würden sie über Revolution in einer Sprache reden, die sie eben erst aus einem Sprachführer lernte.
Der Vikar kam auf uns zu und fing schon von weitem zu reden an: »Na, wie geht’s denn unserem Heimgewerbe in letzter Zeit? Was für eine illustre kleine Gemeinde wir heute wieder haben. Grimshaw da drüben, erstklassiger Golfer, Segler, Videoverleih hat er gesagt, glaube ich, nicht zu vergessen diese Dinger, die uns nachts ruhig in unseren Häusern schlafen lassen.« Er wandte sich mir zu, und da ihm zu eben Gesagtem nichts mehr einfiel, sagte er einfach: »Vier Senioren aus der Nachbargemeinde waren heute in der Kirche, ist das nicht nett? Habe am Samstag Buckleys Foto in The Times gesehen, Rekordprofite, nein, der geht in St. Mary’s. Manchmal. Und dann der allgegenwärtige Klerikalist ...«
Eine der Kunsthandwerkerinnen redete eben über staatliche Zuschüsse und Jugendprogramme, was den Sohn des Colonels dazu brachte, etwas unverbindlich Lobendes oder Hoffnungsvolles über Mrs. Thatcher zu sagen. Der Rest, zu dem nun auch die Frau des Colonels und eine bereits im Aufbruch befindliche Golferin gehörten, machte einander widersprechende Geräusche und Gesichter, und deshalb übernahm der Vikar, zuerst sehr schnell sprechend, dann deutlich langsamer werdend: »Im großen und ganzen ist es die Partei, die uns ans Althergebrachte bindet, da bleibt nicht viel Zeit für Ideen. Was ich damit meine? Die andere Truppe, die halten sich selbst für so moralisch, daß sogar ihm da oben schlecht wird.« Er deutete zur Decke. »Wissen, was gut für den einzelnen und für alle ist, verstehen Sie ...« Er deutete mit dem Finger auf mich. »Verstehen Sie, nimmt einem doch ein Stück weit die Eigenverantwortung ab, nicht, wenn man denkt, es würde uns bessergehen und wir wären bessere Menschen, wenn das Allgemeinwohl an erster Stelle stehen würde, da ist viel Gleichmacherei nach oben oder nach unten, je nachdem, wo man steht, na ja, das ist doch irgendwie entmutigend, deprimierend, nicht? Die anderen dagegen, die glauben zu wissen, was die meisten Leute antreibt, und das Furchtbare, das Christliche ist, sie haben recht,
die nackte Gier ist es eben. Nehmen wir doch nur einmal die sieben Todsünden ... nein, das führt jetzt ein bißchen zu weit ... eine gewisse öffentliche Moral muß natürlich durchgesetzt werden, ansonsten ... Also alles zu privatisieren, auch die Moral, also ich weiß nicht ... Ist allerdings ein interessanter Gedanke. Wobei ich damit, verstehen Sie mich jetzt nicht falsch, auf keinen Fall sagen will, daß Dinge wie Mitgefühl und Gerechtigkeit und Solidarität nicht im Mittelpunkt stehen sollten. Um einen Platz im Paradies gibt’s keinen Wettbewerb. Nützlich, vielleicht nicht ... ? Schwieriges Thema, man muß nur die großen Denker lesen, Mill, Rousseau, Paine, Burke ...«
Die beiden letzten Namen (die ich inzwischen nachgeschlagen habe) waren zuerst an mich gerichtet und dann an den jungen Soldaten, was uns beide dazu brachte, an unseren Krawatten herumzufummeln, während die anderen diesen konzentrierten Blick der Unaufmerksamkeit zeigten, den man normalerweise mit Schlafwandeln in Verbindung bringt. Als der Vikar nun sah, daß er uns verloren hatte und daß das vielleicht für immer so bleiben würde, stürzte er sich in seine Schlußbemerkung: »Aber Gott bewahre, nein. Politik und die Erbsünde, auf dieses Glatteis lasse ich mich nicht locken. Pelagianismus, denken Sie jetzt wahrscheinlich. Nein, nein, die Kirche muß ihre Distanz wahren, meinen Sie nicht auch, Mr. Ripple?«
Ich übernahm seine Verzweiflung. »Ich glaube zwar nicht im geringsten, daß irgendeine meiner
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