Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ein unauffälliger Mann - Chadwick, C: Ein unauffälliger Mann - It's All Right Now

Ein unauffälliger Mann - Chadwick, C: Ein unauffälliger Mann - It's All Right Now

Titel: Ein unauffälliger Mann - Chadwick, C: Ein unauffälliger Mann - It's All Right Now Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Chadwick
Vom Netzwerk:
ein Riesenspaß! Ich meine, Polen. Würde dir nur guttun.« Bei jedem anderen hätte ich an so etwas Anstoß genommen, schließlich klang es, als würde mir irgend etwas Wichtiges in meinem Leben fehlen, als hätte ich irgendwelche Mangelerscheinungen. Absolut lächerlich. Am nächsten Tag rief ich Adrian an, weil ich auch seine Meinung hören wollte, aber er sagte nur, er sei sehr beschäftigt, und erwähnte in einem einzigen Satz sowohl eine kuwaitische wie eine japanische Bank, deren Namen sehr ähnlich klangen. Seine Stimme klang etwas gereizt. Hatten Jane und er sich gestritten? Der Gedanke war schrecklich. Adrian verletzt — wie gut kann ich mir das vorstellen, und wie gut erinnere ich mich daran.
    Jetzt zu dem Brief: »Bitte sag Mrs. Bradecka, wie leid es mir tut, daß ihr Mann gestorben ist und er jetzt Polen nie mehr wiedersehen wird. Er war immer sehr freundlich, Dir und anderen Leuten zu helfen, nach England zu kommen. Alles ist jetzt anders, aber einige sagen, es ist nicht besser. Es gibt zu viele Probleme mit der Wirtschaft und politische Streitereien. Vielleicht tut Mr. Wałęsa ja etwas. Ich hoffe, Bildung ist nicht alles, und einige der anderen Führer sind in gewisser Weise zu intelligent, und deshalb gibt es immer Streit. Geld ist ein Problem für uns und viele Leute, aber
einige Leute in Warschau haben es. Man sieht jetzt überall neue Läden und Tausende auf den Straßen. Da ist eine Dame, die mich vor ein paar Tagen besuchte, die Mrs. Bradecka vor langer Zeit im Krieg kannte. Sie ist jetzt allein und hat keine Kinder. Ihr Mann war Nomenklatura, aber jetzt ist er tot. Sie heißt Anna Konopka. Sie denkt, daß Mrs. Bradecka kommen und sie besuchen kann, da ihr Mann jetzt tot ist. Sie hat schon einmal geschrieben, aber da kam keine Antwort, und Mr. Bradecki hätte nicht gewollt ...«
    Erst jetzt wurde mir bewußt, daß der Brief nur um meinetwillen auf englisch geschrieben worden war, und zwar auf Marias Veranlassung hin. Und so ging ich schließlich an diesem Abend noch einmal hinunter, um Mrs. Bradecki zu besuchen. Wir saßen in ihrem künstlichen kleinen Garten, während sich die Sonne zurückzog und die Farben sich eintrübten und miteinander verschmolzen. Es war warm im Zimmer, aber ich fröstelte, als wären wir im Zwielicht zu lange draußen geblieben. Ich war so direkt, wie ich konnte, gab ihr den Brief und fragte sie, ob ich mich um ihr Ticket und ihr Visum kümmern sollte. Sie antwortete mit einem kaum sichtbaren Nicken, ohne mir in die Augen zu sehen. Ich sagte ihr, ich würde ein Taxi bestellen und die Nummer in Warschau anrufen, um Tag und Uhrzeit ihrer Ankunft durchzugeben. Im verlöschenden Licht hoben sich ihr Gesicht und ihre Hände weiß von den verblassenden Farben ab, und sie fing an, schwer zu atmen. Zuerst dachte ich, sie versuche nur, ihr Zittern unter Kontrolle zu bringen, aber dann merkte ich, daß sie weinte, sah es in dem Lichtstreifen auf ihren Wangen und in den weit aufgerissenen Augen, die auf ihre knotigen Hände hinunterstarrten. Sie saß jetzt völlig regungslos da und gab keinen Ton von sich, ließ die Tränen einfach fallen. Sie war allein, tief in der Vergangenheit versunken. Eine Träne tropfte ihr auf die Hände. Doch sie rührte sich noch immer nicht. Es war, als würde sie sich verhärten, würde das ganze Leben aus sich herausfließen lassen. Vielleicht hätte ich den Arm um sie legen sollen, aber sie wirkte so weit entfernt und so fremd, daß ich einfach dasaß und zusah, wie ihr die Tränen auf die Knöchel fielen. Es dauerte nicht länger als eine halbe Minute, aber in meiner Erinnerung nimmt es die ganze Zeitspanne des Wechsels
von Licht zu Dunkelheit ein. Schließlich stand ich auf und sagte: »Bitte machen Sie sich keine Sorgen. Überlassen Sie alles mir.«
    An der Wohnungstür drehte ich mich noch einmal um. Sie stand genau dort, wo ich ihren Mann an jenem Abend gesehen hatte, eine Silhouette im trüben Schein der Lampe im Gang, der zu seinem Zimmer führte, und der rote Lampenschirm baumelte über ihr wie ein komischer Hut.
    »Sie müssen mit mir kommen«, sagte sie mit sehr fester und klarer Stimme. Doch es lag überhaupt kein Gefühl darin. Es war rein sachlich, ein simpler Befehl.
    »Natürlich«, sagte ich. »Wenn Sie das so wollen.«
    Und jetzt, um ein Uhr morgens, kein Licht mehr in den Häusern gegenüber. Ich sitze an dieser Schreibmaschine, kann nicht schlafen und wünsche mir nur, ich hätte das nicht gesagt und käme irgendwie aus dieser

Weitere Kostenlose Bücher