Ein unauffälliger Mann - Chadwick, C: Ein unauffälliger Mann - It's All Right Now
meine Schuld war, was da bei ihr schiefgelaufen ist. Die Sache ist die, daß er vielleicht sogar recht hatte. Zumindest teilweise. Die Seelenklempner meinten, es ginge viel tiefer. Beschissene Kindheit, solche Sachen. Aber Sie wissen schon. Man gibt sich immer selber die Schuld, nicht?«
Von der anderen Seite der Diele kam ein lautes Krachen, gefolgt von einem Fluch. Ich umklammerte die Armlehnen und beugte mich vor. Er hob die Hand, um mich zurückzuhalten.
»Machen Sie sich keine Gedanken. Sucht nach einer neuen Flasche. Ist umgefallen. Sie kann aufstehen. Ist allerdings auch schon vorgekommen, daß ich sie eine Weile habe liegen lassen.«
Wieder entstand eine Pause, und er starrte zur Decke. Ich schaute mich im Zimmer um. Es war völlig unpersönlich. Als hätte er jede Spur von Benutzung daraus entfernen wollen. Genau das, dachte ich, hat Adrian nach Janes Tod mit seiner Wohnung gemacht. Manchmal geben wir uns mehr Mühe mit dem Vergessen als mit dem Erinnern. Aber diese Entscheidungen werden für uns getroffen. Unsere Betrachtung unseres eigenen Lebens ist willkürlich, kann nie wahrhaftig sein. Ich schaute wieder zu ihm hinüber. Er hielt sein Glas im Schoß und starrte mich an.
»Kann sehen, was Sie denken. Immer wenn ich hier reinkomme, will ich es genau so vorfinden. Makellos. Leblos, so nennt sie das. Aber da das Leben so verdammt schrecklich ist, wer kann es mir da verdenken?«
Wieder wartete er darauf, daß ich etwas sagte. »Ihr Sohn, hat er ... irgendwo seinen Platz gefunden? Geht es ihm gut, ich meine ...«
»Hat mal dies und mal das gemacht. Ist nach Sheffield oder sonstwohin gezogen. Sesselfurzer in irgendeinem Amt. Kann mir nicht vorstellen, daß er verheiratet ist. Das Problem ist, das Furchtbare ist, daß sie, wir ihn immer so — wie heißt das — uneinnehmend gefunden haben. Mürrisch, stur. Sie liebte ihn nicht sehr. Ich konnte es auch nicht. Nicht genug. Versucht hab ich’s. Wir hatten das Gefühl, daß er uns im Stich läßt, als hätte er die Pflicht, unsere Fehler wiedergutzumachen. Dabei war es genau andersherum. Wir waren gräßlich. Jedes Weihnachten schwören wir uns, daß wir bei ihm wiedergutmachen, was wir falsch gemacht haben. Ich meine, immerhin haben wir ihn gemacht, verdammt noch mal. Aber schauen Sie sich sie an ...«
»Das tut mir alles sehr leid«, sagte ich und dachte an meine Kinder, das große Glück, das ich hatte.
»Kurz gesagt, Tom, wenn Sie die Wahrheit hören wollen, mein Leben ist ein verdammter Saustall. Letztendlich mußte ich aufhören zu arbeiten, um mich um sie kümmern zu können. Habe seitdem rein gar nichts mehr getan. Ganz im Gegensatz zu Ihnen. Habe ich gleich gesehen: Das ist ein Glückspilz. Keine Probleme in dieser Richtung. Sie mit Ihren Studien und Büchern. Jetzt bringe ich Ihnen aber noch einen Drink.«
Ohne auf meine Antwort zu warten, nahm er mein Glas und goß uns beiden einen Whisky mit Soda ein.
»Ich sollte mich bald auf die Socken machen«, sagte ich.
»Sehr gut, Professor. Sie haben Besseres zu tun, als dem Geschwafel eines weinerlichen, alten Sacks zuzuhören.«
»Ganz im Gegenteil, ich ... Wie kommen Sie eigentlich drauf, daß ich Professor bin?«
»Mr. Patel vom Laden an der Ecke.« Nun brachte er eine passable Imitation eines indischen Akzents. »Habe Sie mit dem Professor reden sehen, Mr. Brown. Er ist ein sehr guter Kunde.«
»Das ist ein Mißverständnis. Ich bin wirklich kein ...«
Aus der Diele kam ein Geräusch, und ich stand auf.
»Dann mal los. Ob Professor oder nicht, Sie haben so was Wissendes an sich, als wüßten Sie es besser.« Er stand auf und nahm mein unberührtes Glas. »’tschuldigung, ich wollte Sie nicht beleidigen.«
»Bitte, John, ich bin kein Professor. Und ich weiß nichts besser. Wirklich nicht.«
»Auf jeden Fall wissen Sie mit Ihrem Leben Besseres anzufangen, als einen verdammten Saustall draus zu machen.«
Wir waren in der Diele, und er ging mir voraus, um die Tür aufzumachen.
»Ich bin Ihnen einfach verdammt dankbar, das ist alles«, sagte er.
Die Tür am anderen Ende der Diele ging auf, und seine Frau stand, an den Rahmen gelehnt, da. Eine Flasche baumelte von ihrer Hand.
Im trüben Licht sah sie aus wie eine junge Frau, nur daß die Perücke verschwunden war und ihre eigenen, schwarzen Haare grau
meliert waren. Sie hatte sie ordentlich gescheitelt und sich eine Locke davon in die Stirn gezogen. Sie trug ein elegantes, schwarzes Kostüm und eine weiße Bluse. Eine große,
Weitere Kostenlose Bücher