Ein unauffälliger Mann - Chadwick, C: Ein unauffälliger Mann - It's All Right Now
andere Person überhaupt gab — es schien mir das Risiko nicht wert, es herauszufinden. Wir alle, nehme ich mal an, sollten in der Lage
sein, eine andere Person zu werden. Eine bessere, meine ich. Aber im allgemeinen tun wir das nicht. »Verwöhn dich ein bißchen«, denken wir manchmal. Es gibt solche wie Mrs. Brown, die vom Leben so verwöhnt oder eher ruiniert wurden, daß sie kaum eine andere Wahl haben. Indem ich das dachte, während Brown täglich darauf wartete, von mir zu hören, ersparte ich mir selbst weitere Peinlichkeiten und beschloß, gar nichts zu tun. Ich fragte mich, welchen Rat Jane mir gegeben hätte. Tatsächlich ging ich ab und zu ins Connaught, auf die entfernte Möglichkeit hin, ihn dort vielleicht zu treffen — auf neutralem Territorium. Es ist doch auch so, das habe ich irgendwo mal gelesen, daß Tiere im afrikanischen Busch sich von anderen weniger bedroht fühlen, wenn sie am selben Wasserloch saufen.
Noch ein Besuch bei meinem Arzt. Da das Wetter jetzt wieder besser wird, versuche ich seinen Rat, mindestens zwanzig Minuten am Tag spazierenzugehen, ernst zu nehmen: das alte Herz am Schlagen halten usw. Er schüttelte den Kopf und verdrehte die Augen, als ich entgegnete, daß ich mindestens soviel täglich zu Hause ging. »Was hält Sie davon ab?« hatte er die Unverschämtheit zu fragen und deutete damit an, daß ich mit meinem Leben sowieso nichts Besseres anzufangen wisse, wobei er den nächsten logischen Schritt nicht machte, mich zu fragen nämlich, warum man das alte Herz überhaupt am Schlagen halten müsse. »Tut Ihnen gut«, beharrte er. Er scheint mich so lange wie möglich am Leben halten zu wollen. Das ist sein Job. Vielleicht reicht das auch schon: das Leben um seiner selbst willen erhalten. Das ist nicht dasselbe, als würde man ein Auto gut in Schuß halten, damit es einen auch weiterhin hierhin oder dorthin bringt — eher so, als würde man eine zwanzigminütige Spritztour machen, damit man das Geräusch seines Motors und hin und wieder auch seiner Hupe hört, aus reiner Freude daran.
Nach der Untersuchung seufzte er, wurde dann philosophisch und gab mir den folgenden, unsterblichen Rat: »Versuchen Sie einfach, so glücklich zu sein, wie es geht. Keiner von uns lebt ewig.«
Er machte eine ziemlich zufriedene Miene dabei, als wäre er
eben über den Sinn des Lebens gestolpert. Aber ich fragte mich: Wie kann man je wirklich glücklich sein, wenn der Tod auf einen wartet? Oder macht gerade der Tod das Leben so kostbar? Ohne ihn würde das Glück seine Würze verlieren, wir würden kaum wissen, was es ist. Was ist allerdings mit dem anderen Aspekt? Sollte nicht ein glücklich gelebtes Leben den Tod akzeptabler machen? Ich habe im Leben erreicht, was ich wollte, das Schicksal war mir hold usw. Das würde aber auch bedeuten, daß ein nicht glücklich gelebtes Leben den Tod weniger akzeptabel machen sollte: Ich habe im Leben so viel verpaßt, daß ich denke, mir steht noch einiges mehr davon zu, es könnte sich ja noch etwas Besseres ergeben. Das Gegenargument: Je glücklicher das Leben, desto schwerer trennt man sich von ihm — soll das Ganze so bald schon in Rauch aufgehen? Und je unglücklicher das Leben, desto glücklicher sollte man sein, die ganze traurige Angelegenheit endlich los zu sein. Daraus ergibt sich, daß es offensichtlich zwei Arten von Glück gibt. Einerseits diese flüchtigen Momente, häufig vielleicht nur in der Erinnerung, wenn man weiß, daß man glücklich ist oder war. Andererseits das Gefühl, daß das eigene Leben im großen und ganzen eigentlich ziemlich glücklich war. Die flüchtige Art ist es, die den Tod akzeptabel machen sollte: das angehäufte Glück, jeden Augenblick so gelebt zu haben, als wäre er der letzte. Auch sollte man nichts gegen das Sterben haben, wenn man ein glückliches, bedeutungsvolles Leben geführt hat — was hätte es denn Besseres geben können? Sollte man wirklich etwas dagegen haben, daß es keinen dieser flüchtigen Augenblicke mehr geben wird, wenn man glücklich war? Glück und Tod: Es scheint Pros und Kontras zu geben, Wenns und Abers, die sich gegenseitig aufheben. Dann gibt es die anderen Menschen. Man kann mit ihnen glücklich sein, wie man mit ihnen traurig sein kann. Was wir miteinander teilen können, was uns verbindet, ist die Tatsache, daß wir alle eines Tages sterben werden. Was wir aber nicht teilen können, ist der Tod eines anderen, vor allem, da wir alle unterschiedlich glücklich oder
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